Erschienen bei S. Fischer
(Rezensionsexemplar)
Zeitgeist
Uns treibt es wieder in die Städte! Pro Tag ziehen zurzeit ca. 200.000 Menschen in der Welt zu ihnen.
Was fasziniert die Menschen an Städten? Was macht sie zu solchen Menschenmagneten? Ist es die Möglichkeiten auf ein Leben in Prosperität und/oder Anonymität? Leben in der Stadt ist wieder „in“ – trotz aller Widrigkeiten von Überhitzung im Sommer, der höheren Gefahren von Krankheiten/Pandemien oder Umwelt- und Lärmbelastungen. Viele Antworten gibt es wohl – einzelnes lässt sich nicht herauskristallisieren: Städte sind zu Beginn des 21. Jahrh. wieder das Zeichen für Erfolg, Modernität, Macht, Einfluss oder Zukunftsgewandtheit. Sie sind Zentren für Kultur, ja für Avantgarde. Und trotz Internet sind sie das wahre Zeichen menschlicher Vernetzung.
Durch die Metropolen – aber ganz anders!
Ben Wilson macht mit uns eine Reise durch die historischen Städte, ins Jetzt und einem (möglichen) Ausblick in die (smarte) Zukunft. Es geht nicht primär um die architektonischen Erfolge, nein, es geht vor allem um das Zusammenleben der Menschen, ihre Gründe dazu, ihre Organisation(en). Und natürlich um den „Städter“ und seinen besonderen Bezug zu „seiner Stadt“!
Von den Anfängen der Städte in Schwemmlandebenen bis heute folgen wir Entwicklungen auf den verschiedensten Gebieten. Und das alles sagt uns viel übers Menschsein – über Wege, Folgen und Scheitern menschlichen Zusammenlebens. Wilson liefert hier aber kein chronologisches Geschichtsbuch, sondern schafft es immer wieder geschickt unzählige Querverweise zu Aspekten zum Leben in der heutigen Zeit oder zu anderen historischen Momenten und Kulturen einzubauen. Es geht um sehr viele Aspekte des städtischen Lebens, wie Wasser, Bauwesen, Strände, Prostitution, Vergnügen, Handel, Erfindungen, Essen zum Mitnehmen, die Geschichte des Buchs, der Bibliotheken und des Cafés und und vieles mehr.
Die Eigenständigkeit dieses Buches
Das gibt dem Buch etwas sehr Eigenständiges, bietet Überraschung und Abwechslung im Gegensatz zu einem rein chronischen Werk. Darüber hinaus werden auf wunderbare Art Strukturen und Systeme menschlichen Zusammenlebens ersichtlich.
Hatte ich (mal wieder) ein Buch über die großen urbanen Knotenpunkte der Weltgeschichte erwartet, einen historischen Abriss großer Momente der Menschheitsgeschichte, bekam ich hier etwas faszinierend Neues – Frisches und Lebendiges. Es ging um das, was Leben in der Stadt ausmacht – ja. immer ausmachte. All die genannten Aspekte, die die Stadt lebendig pulsieren lassen!
Wieso Städte?
So verschieden Zeite und Orte sind – menschliches Handeln in den Städten ähnelt sich. Und das Leben in den Städten bringt die Menschheit voran. Sie bringen – wie die Römer es uns vom Wort „Civis“ lehrten – die Zivilisation. Schon die erste Stadt Uruk bringt uns die Urbanisierung und die Mathematik. Ja, und den ersten Namen eines Menschen: Kuschim! Er ist kein König oder Priester – nein, er quittiert in Uruk. Ein normaler Mensch.
Wir hören vom vollkommenen Rund im durchgeplanten Bagdad, das – wie moderne Millionenstädte in China – aus dem Boden gestampft wurde. Alles zeigt, wir leben nur in einem fortgeführten Gedanken der Vergangenheit – er ist nicht neu – wir führen ihn in die Zukunft.
Nicht „nur“ Geschichte!
Ben Wilson führt uns von Uruk über Babylon (das zukünftig als Symbol einer Stadt voller Lüsternheit, Materialismus und Lärm gelten sollte), weiter nach Rom (als technische Errungenschaft der Hygiene und des Wassers), an vielen bekannten, aber auch unbekannten Zwischenstationen bis ins Jetzt, nach Los Angeles und dem sich ständig weiter füllenden Lagos in Nigeria. Ein sehr informatives und umfassendes Werk hat er uns in die Hand gegeben. Es macht wach – zeigt Perspektiven!Und auch wenn es in diesem Buch um Geschichte, Soziologie geht, empfand ich viele Teile als eine Art Philosophie des menschlichen Zusammenlebens. Oft wird uns der Spiegel dieses massenhaften Zusammenlebens vorgehalten. Ein sehr gutes, vielschichtiges Buch für Menschen, die in Städten leben, die die Stadt bevorzugen und sie lieben! Und vor allem: Ein sehr, sehr informatives und bestrecherchiertes Buch.