So oft wird behauptet, dass ein Autor einen absolut individuellen Stil hätte. Zu oft! Aber bei Zoran Drvenkar ist es absolut so. Wer dies noch nicht erlebt hat, sollte es dringend nachholen. Seine Sprache (oder sollte man sagen Ansprache) macht ihn unverwechselbar, aber für einige vielleicht auch schwer zu lesen. Lange ist es her, dass ich seine fabelhaften Romane „Sorry“ und „Du“ gelesen habe, aber schnell ist man wieder in dieser besonderen Atmosphäre eines Drvenkar-Romans/Thrillers. Und er ist in diesem Stil weitergegangen. Umfassender, konkreter, filigraner, kunstvoller wirken nun seine Beschreibungen und Darstellungen. Und wir? Wir dürfen die Hauptperson sein, denn er sagt uns in diesem für ihn typischen Stil, „du“ fühlst dies oder „du“ machst jenes. Das Erleben in seinem Roman „Asa“ ist nicht Asas Geschichte. Nein, ihre Geschichte wird zu unserer Geschichte. Allein schon in dieser Ansprache, können wir dem Erlebnis nicht entgehen. Ein immer wieder geschickter Schachzug Drvenkars. All das ist hohe Erzählkunst.

Welten im Aufbruch – Eine Globalgeschichte der Antike | Raimund Schulz
Schon zu Beginn seines Werkes stellt Autor Raimund Schulz, selbst sehr ehrlich und überzeugend fest, dass ein Versuch, alle Ereignisse der Antike, die weltweit stattgefunden haben, in ihrer Fülle in einem Buch darzustellen, den Rahmen absolut sprengen würde. Und genau hier liegt die Kunst, mit der Schulz seine sich selbst gegebene Aufgabe fabelhaft erledigt. In geschickter Reduktion des Stoffes, ohne aber an Niveau und der Lösung seiner Aufgabe zu kratzen, legt er ein wunderbares Geschichtsbuch vor, dass in seiner Art wegweisend sein sollte. „Welten im Aufbruch“ ist der Blick über den Tellerrand hinaus. Weg vom zentralistischen europäischen Weltbild (als wäre sämtliche Kultur hier entstanden), biete er einen internationalen Blick. Genau so sollte der Blick auf Geschichte im Jahr 2025 sein. In einer Zeit, in der wir als Welt durch Kommunikation, das Internet, unsere Informationen und unser Wissen immer mehr zusammenleben, müssen wir weltweit Verständnis füreinander – für die Kultur, Mentalität und Geschichte – bilden. Genau dabei kann ein solches Werk helfen.

Kreuzfahrer | Dan Jones
Du findest Geschichte so ganz OK? Vielleicht auch etwas interessant? Dann wird Dan Jones dir zeigen, dass Geschichte fesselnd, aktuell, unterhaltsam, spannend, mitreißend und bildend sein kann. Während in vielen deutschen Buchläden die Geschichtsabteilungen schrumpfen, immer wiederkehrendem Kitsch und Gesellschaftsspielen weichen, wachsen diese in Großbritannien jährlich. Der Grund dafür sind Autoren wie Dan Jones, die den fabelhaften Spagat zwischen historischem Anspruch und Unterhaltung schaffen. Der Autor und BBC-Moderator, der vielleicht auch etwas ein Popstar unter den Produzenten moderner Dokumentationen in Europa ist, bringt Menschen zur Geschichte, die sich ansonsten dafür nicht interessieren würden. Das fehlt leider so in Deutschland und somit ist es fabelhaft, dass C.H.Beck seine Werke zu uns bringt.
Sein neuestes Werk „Kreuzfahrer“ ist erneut ein Beweis dafür, dass Jones es beherrscht, ein mittelalterliches Thema, das bei weitem nicht „hip“ wirkt, so zu erzählen, dass es einer Netflix-Serie als Buch gleicht. Und das alles auf einem anspruchsvollen Niveau. Das macht Spaß zu lesen – und geht (wie die Serie) viel zu schnell vorbei.

Erinnern heißt Handeln | Ruth Weiss
Die Autobiographie der eindrucksvollen Journalisten und Schriftstellerin Ruth Weiss, ist bei weitem nicht die „normale“ Lebensgeschichte, die viele in der Öffentlichkeit stehenden Personen zum Ende ihres Lebens schreiben. Ruth Weiss, jüdisches Kind, aufgewachsen im Nazi-Deutschland, Journalistin im apartheitsgeprägtem Südafrika und dann im vereinigten Deutschland, setz ihr Leben in ihrer Autobiographie – fast wie interdisziplinär – in Verbindung mit ihrer Herkunft, ihrer Prägung als deutsche Jüdin, ihrem Anspruch als engagierte Journalistin und vor allem als Demokratin, die sich für die Unterdrückten und Rechtlosen einsetzte. All das ist für uns als Leser eindrucksvoll. Eindrucksvoll, wie diese, über einhundertjährige Frau, klar Stellung – auch zu aktuellen Themen – nimmt und Haltung zeigt. Ihr Lebensmotto hat sie zu ihrem Titel gemacht: „Erinnern heißt Handeln“. Und nach dieser deutlichen Aufforderung, hat sie ihr eigenes Leben gestaltet.

Der Tower | Ivar Leon Menger
Stell dir vor, du bist ganz unten. Job weg, Freund weg, Wohnung weg. Das Leben hat eine Dynamik, die du so nicht wolltest. Doch dann bekommst du den Hauptgewinn. Da freuen sich alle mit. Endlich gewinnt mal jemand, der/die vom Leben so schlecht behandelt wurde. Ivar Leons Menger vierter Thriller ist absolut eine Geschichte in der Jetzt-Zeit. Allein schon sein Aufschlag ist top aktuell. Denn wir alle kennen – sei es aus eigener leidvoller Erfahrung und der unserer Freunde und Bekannten – den heiklen, harten Kampf um eine bezahlbare Wohnung und somit das Gefühl, bei den überfüllten Wohnungsbesichtigungen, der/die verlorene Bittsteller/in zu sein. Und genau, weil dieser Auftakt so unscheinbar, mitten aus dem Leben unserer Zeit kommt, lassen wir uns in die Geschichte hinziehen. Das Setting ist Berlin, in dem wir uns alle gut orientieren können. Die urbane Atmosphäre hat somit alles, was die Millionenstadt ausmacht: Vertrautes, aber auch die große Anonymität. Und vor allem Modernität. Wenn irgendwo in Deutschland die Zukunft des Wohnens einen Schritt weiter gemacht hat, dann doch bestimmt hier – in der größten Stadt des Landes. Und Menger stellt uns den Tower vor – vielleicht eine Zukunft des Wohnens. Aber will man wirklich so wohnen?

Lina Morgenstern – Die Geschichte einer Rebellin | Gerhard J. Rekel
Als Frau war es in den vergangenen Gesellschaften noch schwerer als heute, seine Anliegen zu artikulieren, durchzusetzen und ein Leben so zu leben, wie sie es sich selbst vorstellte. Erst recht war die Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs absolut durch das Patriarchat geprägt. Selbst die geringsten Versuche die Gesellschaft mitzuprägen und mitzugestalten, unterlagen juristischen Hürden. So war ihnen der Zugang zu Bildung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schwer möglich oder gar verwehrt. Auch konnten Frauen z.B. keine Vereine gründen oder in deren Vorständen beteiligt sein. Wie überaus beeindruckend ist es dann, sich mit dem Leben der Lina Morgenstern auseinanderzusetzen, deren Biografie Gerhard J. Rekel nun veröffentlicht hat. Lina Morgenstern wirkt hier in ihrer Umgebung, wie aus der Zukunft dorthin versetzt. Sie ist selbstbewusst, kreativ, voller Tatendrang für ihre sozialen Anliegen – sei es für Kinder oder die ärmsten Teile der Bevölkerung. Rückblickend hat man das Gefühl, dass Lina Morgenstern sich nie entmutigen lies und man fragt sich, woher die junge jüdische Frau die Courage, die Energie und ihren Ideenreichtum hatte. Dieser umtriebigen Person hat Rekel nun ein mitnehmendes und sehr vitales literarisches Denkmal gesetzt. Lina Morgenstern wirkt – trotz der fast 200 Jahren von uns weg – sehr modern, und für ihre Zeit überaus emanzipiert.

Der sixtinische Himmel | Leon Morell
Leon Morells umfangreiches Werk „Der sixtinische Himmel“ bietet uns, auf eine unterhaltsame und sehr faktenreiche Art, einen wunderbaren Zugang zum Leben und Werk des genialen Michelangelo Buonarroti. Es gibt uns die Möglichkeit das gewalttätige Italien im Einfluss mächtiger Familien, wie den Borgias Sforzas oder Medici, das Italien der Renaissance, besser zu verstehen und einen interessanten Zugang zu erhalten. Wir erleben auch die Diskrepanz zwischen den damaligen Nachfolgern Petri und ihrer sehr weltlichen Ausführung des Amtes als Papst. Julius II ist ein deutlich mehr gewalttätiger Herrscher über ein Land, als ein Priester. Er herrscht, ohne Widerspruch zuzulassen. Er ist ein Mäzen, der seine Künstler fürstlich belohnt, jedoch über sie verfügt, wie über Diener.
Morells Werk ist fabelhaft recherchiert und bietet uns darüber hinaus einen wunderbaren Zugang zum Rom jener Zeit. Der zeitgemäße Aufbau der Stadt, seine Straßen, Plätze, Kirchen zu Beginn des 16. Jahrhundert – alle dies lässt der Autor geschickt immer wieder in seine Geschichte einfließen. Das lässt das Herz der Fans für historische Romane höherschlagen.

We burn daylight | Bret Anthony Johnston
Mit seinem Roman „We burn daylight“ ist Bret Anthony Johnston einen sehr mutigen Weg gegangen. „Waco“ ist in den USA nach wie vor ein heikles und zutiefst umstrittenes Thema. Es ist eine offene Wunde, rund um eine extremistische, fanatische, christliche (extrem bewaffnete) Sekte um den damaligen charismatischen Davis Koresh und dem eskalierten und chaotischen Einsatz des FBI 1993. Von rechten Gruppen instrumentalisiert, führt dies später zum Bombenanschlag von Oklahoma, dem größten rechtsradikalen Anschlag in der Geschichte der USA.
Johnstons Roman ist ein gewagter, aber guter Weg mit solch einer Geschichte umzugehen. Romane brauchen keine absoluten Wahrheiten und Schuldigen. Sie können in Vielschichtigkeiten und Spannungsfeldern von Situationen, zwischen Personen und Sichtweisen fabelhaft existieren. Johnston lässt das Drama auf uns zukommen. Koresh heißt Perry Cullen. So orientiert er sich an der historischen Person, schafft es aber auch geschickt Abstand zu ihr aufzubauen. Ein tiefgreifender, sehr emotionaler Roman über die USA, über Glauben und Familie und über die Freiheit, wie sie doch so verschieden gedacht und gelebt werden kann. Was darf Freiheit? Wann darf und muss der Staat eingreifen. Ein Staat, der immer wieder die Freiheit des Individuums aufs Höchste predigt („the land of the free“/Star Spangled Banner).

Vor dem Untergang – Hitlers Jahre in der Wolfsschanze | Felix Bohr
Die Flut an populärwissenschaftlichen Sachbüchern zum Thema NS-Diktatur reißt nicht ab. Ärgerlich, dass man doch als interessierter Geschichtsleser oft immer wieder die gleichen Themen aufgewärmt präsentiert bekommt. Aber wie schön und wie besonders ist es dann ein Buch zu lesen, in dem ein wichtiger Abschnitt der Geschichte der Nazi-Zeit durchleuchtet wird, der im Allgemeinen von vielen Autoren nicht besonders bedacht oder so nicht in den Fokus gesetzt wird. Felix Bohrs neustes Werk „Vor dem Untergang“ über Hitlers Jahre in der – von ihm so benannten „Wolfschanze“, ist solch ein besonderes Buch in unserem Lesejahr 2025. Ein Buch – einmal begonnen – das man nur schwerlich weglegen kann.
Eigentlich ist es schwer zu verstehen, dass es bisher viel Literatur zu den wenigen Monaten „des Untergangs“ im Führerbunker in Berlin oder Hitlers Leben mit seiner späteren Ehefrau Eva Braun auf dem Berghof gibt. Aber die lange Zeit in der Wolfschanze, die eigentlich den langsamen psychischen und physischen Verfall des immer mehr medikamentenabhängigen Diktators und auch den Abschnitt des Abstiegs hin zur Niederlage des 2. Weltkriegs zeigt, wurde aktuell bisher so noch nicht dargestellt. Wieso lebte der Diktator während seines initiierten Weltkriegs mitten im Wald? Fern ab seines Volkes? Wie war die Atmosphäre dort? Wer durfte mit ihm wie sprechen? Viele spannende Aspekte tun sich hier auf!

Die wahre Geschichte der Germanen | Karl Banghard
Was gibt es Neues in der Germanenforschung? Und: Gibt es da überhaupt Neues? Karl Banghard hat sich mit seinem Sachbuch „Die wahre Geschichte der Germanen“ eine große Aufgabe gestellt. Mögen wir nicht immer wissen, wie es war oder was war und auch nur oft auf Thesen aufgebaute Vorstellungen haben, so ist jedoch hier sehr klar, dass Banghard mit vielen Mythen, Märchen und Gerüchten rund um die Bewohner Mitteleuropas in der Antike, aufräumen will. Dazu zieht er – neben den bekannten Quellen um Cäsar und Tacitus – neuste archäologische Grabungsergebnisse vor, die zum Teil die schriftlichen Quellen (im Gegensatz zu vorherigen Interpretationen) bestätigen, zum Teil aber auch deutlich widerlegen. So startet er seinen (wie er es im Buch benennt) „Roadtrip“ durch Europa und fasst die aktuellen Ergebnisse zusammen. Ein interessanter „Rundumschlag“, durch ein fesselndes und nie endendes Thema.