In die andere Richtung jetzt | Navid Kermani Textopfer, Oktober 21, 2024Oktober 21, 2024 Erschienen bei C.H.Beck (Rezensionsexemplar, daher Werbung) Afrika jetzt! Navid Kermani ist klar und zugewandt zu den Menschen, die er bei seinen Reisen trifft. Er hat diese besondere Gabe, so dass Menschen – fremde Menschen – sich ihm gegenüber öffnen. An diesen besonderen Momenten lässt er uns teilhaben. Und all dies macht seine Darstellung in seinem Werk „In die andere Richtung jetzt“ für den Leser besonders intensiv. Ein Bericht, eine Reportage, ein Sachbuch, das uns auf einfühlsame Art gelungen, wenig nüchtern-sachlich entgegenkommt. Denn das will das Werk nicht! Es geht zwar um eine Sache, aber vor allem um Menschen. Das Buch ist Darstellung, Anklage und Herausforderung für uns. Im Zentrum steht Afrika – Kermanis Reise durch viele Teile Ostafrikas. Er legt mit seinem Blick den Finger in die Wunde der westlichen Ignoranz, unserer Ignoranz, gegenüber den großen. brutalen, schrecklichen Kriegen und den menschenverachtenden Verhältnissen Afrikas. Obwohl wir uns in unserer westlichen Medienwelt der globalen Nachrichten für so umfassend informiert halten, machen seine Worte klar, dass wir Afrika höchstens punktuell wahrnehmen. Die hunderttausende von Toten, die vergewaltigten, verstümmelten, gepeinigten Opfer, schaffen es nicht in den Fokus oder gar Randbereiche unseres Lebens – nicht in unsere Wohnzimmer. Und genau deshalb ist Kermanis Buch so wichtig! Es ist erschütternd, oft von einer Direktheit, die uns sehr fordert oder vielleicht auch mal überfordert. Aber genau dies ist wichtig, richtig, denn es gilt diesen Opfern eine Stimme zu geben. Ansonsten wird sich die Richtung Afrikas niemals ändern. Reichtum bedeutet nicht Wohlstand! 2022 reist Kermani nach Madagaskar. Denn während weltweit noch etliche Menschen die kommende Klimakrise anzweifeln, nicht bereit sind ihre Form der Lebensführung zu ändern, hat hier, bei den wohl ärmsten Menschen der Welt, die Klimakrise schon direkte schreckliche Auswirkungen. Kermani schildert den Hunger, die lebensbedrohenden und oft tödlichen Konsequenzen für diese Menschen. Dürre folgt seit Jahren auf Dürre. Kermani scheut auch nicht in Direktheit zu schildern, was verhungern körperlich sichtbar bedeutet. Sowohl für die sterbenden Kinder oder für die täglich nach Nahrung suchenden Eltern. Dabei ist Afrika an so vielen Plätzen reich. Reicher als viele andere Teile der Welt! Reich an Rubin, Graphit, Gold, Holz, Ölsand, Gasvorkommen wie z.B. in Cabo Delgado in Mosambik! Jedoch profitieren nur einige wenige, die mit ihren Soldaten Verwüstung und Krieg über die Länder bringen davon. Der Reichtum eines Landes hilft nicht der Bevölkerung zum Wohlstand – bedeute nur Reichtum für wenige. Mord und Massenvergewaltigungen sind an der Tagesordnung. In Kermanis Reportage treffen wir die Opfer. Darüber hinaus ist Afrika Hauptumschlagplatz für Heroin von Afghanistan nach Europa. Dort könnten wir unser Drogenproblem Europas wohl besser und sinnvoller bekämpfen. Afrikas Unglück! Immer stellt sich die Frage: Wer und was ist schuld am Unglück Afrikas? Kermani macht deutlich, dass der dauernde Verweis auf die Kolonialzeit nicht die einzige Antwort für die Gründe des nicht endenden Elends sein kann. Er macht z.B. deutlich, dass unsere heutige Außenpolitik direkt diese Machtstrukturen und nicht abreisenden Gewaltorgien – wie in der Region Tigray – fördert. Dabei ist sein Buch zweitweise leise und dann sehr laut mahnend! Navid Kermani macht mit diesem Buch deutlich, dass er mehr den je, den einst (2015) verliehenen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verdient hat. Gerechtigkeit, Stimme für die Ungehörten zu sein, scheint nach wie vor seine Motivation. Seine Reportage ist auf erschreckende Art und Weise für uns fesselnd. Sie sollte Pflichtlektüre für Entscheidungsträger unserer westlichen Demokratien sein. Sie erweitert unser aller Perspektive auf das oft vergessene Afrika. Sie macht deutlich, wie sehr wir nur über Symptome sprechen, wenn wir über die Einschränkung von Asylrechten oder die Bekämpfung von Drogenhandel an unseren Grenzen sprechen. Die eigentlichen Gründe und die Strukturen, die all dies so menschenverachtend fördern, können wir nur in Afrika selbst ändern. Politik Sachbuch AfrikaC.H. Beck VerlagNavid KermaniPolitik