Erschienen im Dumont-Verlag
(Rezensionsexemplar, also Werbung)
Angetrieben von Nostalgie und einer großen Wut
Es gehören viele Ebenen zu einem Roman, der nicht nur unterhalten will, sondern uns eine Zeit, Umstände, Verständnis für Menschen, für ihr Denken erklären möchte. Cay Rademacher erzählt eine Geschichte, die wunderbar in die Stadt Köln passt. Und dabei ist es nicht das Köln, das vor unserem geistigen Auge erscheint – es ist Köln in Trümmern. Ein graues, trostloses Leben am Ende. Das zerstörte Köln bietet die eindrucksvolle, und manchmal grausige Kulisse und steht stellvertretend für viele Orte nach dem langen, fast 6-jährigen Krieg. Schon oft haben Autoren ihre Geschichten in diese Kulissen gesetzt, jedoch ist Rademachers Geschichte sehr individuell. Es ist nicht „nur“ wie im Untertitel angekündigt ein Kriminalroman – nein, es ist Geschichte im Schmelztiegel. Dazu bedient sich Rademacher gekonnt historischen Persönlichkeiten und fiktiven Personen, die wie Stereotypen ihrer Zeit wirken. Die Denunziantin oder der Polizist, der eigentlich nur Polizist und nicht Nationalsozialist sein wollte oder der jugendliche Schwarzhändler, der irgendwie den Tag überleben möchte. Und dazwischen Joe, der nun als amerikanischer Soldat in seine einstige Geburtsstadt zurückkommt, aus der er als Jude 1938 vertrieben wurde. Mit einem Hauch von Nostalgie und einer großen Wut schaut er auf seine einstigen Mitbürger. Und ausgerechnet Joe bekommt den Auftrag, den Mord an einem amerikanischen Soldaten aufzuklären. Eine explosive Mischung.
Fabelhafte Verknüpfung von historischer Fiktion und Fakten
Cay Rademacher schreibt einen Nachkriegskrimi in Köln, beschreibt die Straßen, Plätze und Zerstörungen der uns bekannten Orte, ohne daraus zu sehr einen historischen Lokalkrimi zu machen. „Nacht der Ruinen“ hat viel mehr zu bieten. Eine fabelhaft recherchierte Zeitreise in das für uns unvorstellbare Chaos einer fast zu 90% zerstörten Großstadt oder das, was von ihr im Krieg überblieb. Leben im Trümmerfeld, verraten von der alten Ideologie und keinem Glauben an die Zukunft. Alles in diesem Buch wirkt so, dass der Leser das dauerhafte Gefühl hat: Es hätte so geschehen können! So authentisch und konsequent werden die Bedingungen der Zeit und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung umgesetzt. Kein Schnitzer eines faktischen oder gefühlten Anachronismus passiert ihm. Dies ist das Resultat von Rademachers gekonntem Schachzug, historische Personen mit ins Geschehen einzubringen, wie z.B. weniger oder mehr bekannte Lokalgrößen Kölns (Anmerkung: Natürlich darf Konrad Adenauer nicht fehlen) oder die Erwähnung des Schriftstellers Stefan Heym. Rademacher geht sogar noch einen Schritt weiter und macht den Kriegsreporter George Orwell zu einer Hauptperson neben Joe. Und all dies wirkt sehr genuin und nicht konstruiert. Als Leser geht man diese Schritte wie selbstverständlich mit.
Mitreißender Kriminalfall
Wir folgen also Joe durch das zerstörte Köln, auf den Spuren seiner Vergangenheit und durch einen mitreißenden Kriminalfall, bei dem wir zeitweise nicht wissen, wo er uns hinführen wird. Aber die Spannung reißt während der Lektüre nicht ab. Wir fragen uns fortwährend, ob Joes Vergangenheit und der zu lösende Mordfall miteinander in Verbindung stehen. Beeindruckend ist z.B. Rademachers Darstellung als Joe in dem noch existierenden, aber stark in Mitleidenschaft gezogenen Dom kommt. Eine pointierte erzählerische Meisterleistung.
Köln steht stellvertretend für viele Städte Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg, in Schutt und Asche und zeitweiser Anarchie. Rademachers Krimi ist nicht nur etwas für Fans von historischen Romanen, sondern für jeden, der einmal in die Zeit vor der Gründung unseres heutigen Landes abtauchen will – und diese besser verstehen möchte.