Abgrund | Robert Harris Textopfer, November 14, 2024November 14, 2024 Erschienen im Heyne Verlag (Rezensionsexemplar, also Werbung) Das Erzählen des Robert Harris Mit seinem neusten Werk „Abgrund“, ist Robert Harris einen etwas anderen Weg gegangen als in seinen vielen berühmten Werken zuvor. Bisher stand oft der Faktor der politischen Macht im direkten Focus seiner Erzählungen (z.B. wie Menschen damit umgehen und was es aus ihnen macht) und Beziehungsgeschichten zwischen Menschen wurden oft um die Handlung herum erzählt. In diesem Buch aber geht es Harris genau darum. Wie hat die Beziehung zweier Personen – neben persönlichen Konsequenzen und Konsequenzen für ihr direktes Umfeld – auch eventuell Auswirkungen auf die politischen Entscheidungen und die Machtverhältnisse eines Landes. Es macht uns auf offene Weise sehr deutlich, wie politisches Handeln der emotionalen Lage der handelnden Personen unterliegen kann. Und Harris überzeugt gekonnt auch hier wieder. Was ist die besondere Magie von Robert Harris – warum wird es nicht langweilig ihn zu lesen? Ich muss dazu anmerken, dass ich alle seine Werke gelesen habe. Wenige Autoren erzählen wohl historische Romane so wie Robert Harris. Sein zeitweises skizzenhaftes Erzählen, lässt (trotzdem) immer die nötige Nähe zu seinen Protagonisten zu, die wir brauchen, um die Zeit, Gedankengänge, Ängste und Hoffnungen zu verstehen. Pluspunkt hierzu im neuesten Werk ist die riesige Quellenlange, die uns die Gefühle des englischen Premierminister Asquith intensiv und authentisch näherbringt. Harris Sprache ist dabei so herrlich abwechslungsreich, hat so viele Varianten und Formen, so dass uns nie Monotonie überfällt. Ein wunderbares, schönes Erzählen, nicht gekünstelt, nicht literarisch aufgesetzt und überfrachtet. Wir erfahren (wie gezielt) das Nötigste, das uns aber ein umfangreiches Bild gibt. Das ist hohe Erzählkunst! Die Geschichten des Robert Harris Harris ist ein Meister darin, gut recherchierte Quellen zu ergänzen und sie somit zu einer umfassenden, ausdrucksstarken Geschichte zu machen, ohne übertriebene Geschichtsfälschung zu betreiben. Immer geht es darum die Aussage der Geschichte deutlicher darzustellen, sie vielleicht zu überspitzen – nie darum sie zu verdrehen. Und die von Harris in „Abgrund“ eingebundenen Quellen, genauer Briefe des Premiers Asquith, sind an Kopfschütteleffekt für den Leser (auch nach über 100 Jahren) wirklich nicht zu überbieten. Aber seine Geschichten erzählen uns bei weitem nicht nur etwas aus der Vergangenheit, sondern sehr viel über uns als Menschen – gestern und heute. Und weil Harris sich diesen Geschichten immer wieder anders nähert, anderes und anders von Menschen erzählt, daher wird es nicht langweilig ihn zu lesen. Es ist jedes Mal (fast), wie ein anderer Autor, denn es sind vollkommen neue Geschichten, Orte, Szenen, Zeiten oder Begebenheiten aus unserer Geschichte, in die uns Robert Harris entführt. Er fährt keine Masche, nicht das immer gleichbleibende Konzept. Jedes Werk wirkt wie ein neuer Anspruch an sich selbst. England 1914 Die Welt, die Staaten Europas stehen am Abgrund vor dem epochalen Weltkrieg. Dessen wird sich Premier Asquith immer wieder an verschiedenen Stellen des Buches bewusst, ohne sich selbst bewusst zu werden, dass er selbst an seinem möglichen Abgrund steht. Der als ausgefuchster Stratege, lang bewanderte Politiker zeigt sich als naiver alternder Romeo, der immer mehr unter dem politischen Druck jener Tage, in die Traumwelt seiner Affäre flieht. Er sieht das unverantwortliche Handeln der anderen großen Player in Berlin oder Wien und reflektiert sein fast kindisch, naives Handeln bezüglich des Umgangs mit Staatsgeheimnissen nicht. Er steht aber auch stellvertretend für eine gesamte Gesellschaftsschicht, die nicht merkt und auch nicht glaubt, dass sie vor ihrem Fall ist. Das aristokratische Europa wird zerfallen. Ähnlich naiv wie Premier Asquith ist dem größten Teil der – zeitweise versnobten – Upper-Class scheinbar noch nicht einmal ansatzweise klar, dass sie viel verlieren werden, selbst wenn England den Krieg gewinnen wird.Harris Buch ist nicht nur ein historischer Roman über einen politischen Skandal, nein, es ist der Spiegel einer Gesellschaft, die vom Krieg in Europa hört und nicht glaubt, dass es ihr Leben verändern wird oder sie sich ändern müssen. Somit hat es Robert Harris wieder einmal geschafft, uns etwas sehr Aktuelles mitzuteilen. Historische Romane GeschichteHeyne-VerlagRobert Harris