Erschienen bei Kiepenheuer und Witsch (Rezensionsexemplar, also Werbung) Wir schauen zu Nie sind wir wohl…
Schlagwort: Thomas Mann
Joseph und seine Brüder I | Thomas Mann
Von den Werken Thomas Manns, ist „Joseph und seine Brüder“ wohl eines der bedeutendsten, eindrucksvollsten und imposantesten. Auf jeden Fall ist es (mit seinen vier Romanen) das umfangreichste Werk. Im Mittelpunkt meiner Rezension steht der Auftakt, das heißt der erste Band mit den beiden Romanen „Die Geschichte Jaakobs“ und „Der junge Joseph“.
Manns erzählerische Kraft tritt uns schon zu Beginn, in der „Höllenfahrt“, entgegen. Ein Auftakt, der einer Ouvertüre einer großen Oper, ja, wie ein steigender, durchdringender Trommelwirbel wirkt. Die Höllenfahrt lässt uns in Spannung erahnen, dass etwas Besonderes und vor allem eine große Persönlichkeit auf uns zukommen wird. Aber über all dem liegt eine deutliche Ironie. Aber auch wenn sie darunter verborgen ist, präsentiert Mann uns hier viel philosophischen Weitblick.
Und schon hier, in der Darstellung rund um den Urvater Abraham, zeigen sich die immer wieder auftauchenden, ewigen Aktualitäten dieses Buchs. So warnt uns Mann davor, dass man mit Vorsicht den Überlieferungen gegenüberstehen sollte. Zu oft haben Menschen sie geändert, um ihre Macht zu rechtfertigen. „Es handelt sich um späte und zweckvolle Eintragungen, die der Absicht dienen, politische Machtverhältnisse, die auf kriegerischem Wege hergestellt, in frühesten Gottesabsichten rechtlich zu festigen.“ Solche Fingerzeige, bezogen auf uns Menschen und Religionen, die wir in tragischer Weise bis heute erleben, machen dieses Werk so besonders und zeitlos.
Zeit der Magier – Heinrich und Thomas Mann 1871 – 1955 | Hans Wisskirchen
Geschwister – ein kompliziertes Verhältnis zwischen Liebe und Konkurrenz. Vor allem, wenn beide Brüder, wie im Fall von Heinrich und Thomas Mann, sehr eigene Typen sind und der gleichen Profession nachgehen. Sie waren Künstler und Intellektuelle. Zwei ungleiche Magier und doch vom gleichen Stamm. Natürlich lagen sie mit ihren Einschätzungen und Sichtweisen auf die damalige Welt und möglichen Entwicklungen, auch mal falsch. Aber welcher politinteressierte Mensch tat das nicht in den Wirren des 20. Jahrhunderts?
Natürlich gibt es in der heutigen öffentlichen Wahrnehmung die deutliche Dominanz von Thomas Mann gegen Heinrich, aber das war während der Lebzeiten der beiden, vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nicht so. Das ist der Blick vieler in der Retrospektive. Trotzdem sind beide Schriftsteller nur im Kontrast zueinander, in ihrer großen Verschiedenheit und Auseinandersetzung miteinander vollständig zu verstehen.
Hans Wisskirchen präsentiert uns die neusten Erkenntnisse der vergleichenden Wissenschaft über die beiden so ungleichen Brüder. Durch neue Quellen und viele Querverweise gibt es uns die Chance, mehr über beide und die Wechselwirkung der beiden aufeinander zu verstehen. Ein tiefer Einblick, der nicht nur die nüchternen Fakten zeigt, sondern vor allem die besonderen Tiefen des sehr menschlichen Verhältnisses der beiden zueinander. Manchmal sehr komplex, manchmal auch fast banal.
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull | Thomas Mann
Die Felix Krulls sind in der Welt nicht weniger geworden- es werden zurzeit scheinbar immer mehr. Und schon immer hat uns dieser Menschentypus mit dem ausgeprägten Münchhausensyndrom – obwohl rücksichtslos und Schaden bringend – fasziniert. Sie sind verrucht, schamlos – aber sie haben scheinbar vor allem eines, was uns fasziniert: Eine riesige couragierte Freiheit (solange der lange Arm des Gesetzes sie nicht erreicht hat). Die direkten Nachfahren Krulls haben – wie er – auch das Potential zu Medienstars. Wie eine Hommage an ihre Lebenswerke erhielten Frank Abagnale, in Form eines Blockbusters („Catch me if you can“ mit Leonardo DiCaprio) oder aktuell Anna Delvey und Belle Gibson ihre eigenen Netflix-Serien.
Felix Krull ist charmant, besitzt Charisma. Lernt man ihn kennen, muss man ihn mögen. Sein ganzes Tun und Handeln kann er – bei aller Lüge, bei allem Betrug oder bei Diebstahl – auf fast altruistische Art und Weise rechtfertigen.
Deutsche Hörer! | Thomas Mann
Manche Jahrestage kommen wie geplant um die Ecke, dabei sind sie doch nur ein zufälliges Spiel der Zahlen. Aber es ist schon bemerkenswert, dass wir in diesem Jahr den 150. Geburtstag des literarischen Jahrhunderttalents Thomas Mann feiern und gleichzeitig den 80. Jahrestag des Endes des 2. Weltkriegs begehen werden. Wenn wir dann noch sehen, dass wir kurz vor einer Bundestagswahl stehen, bei der wir in einer – in der Bundesrepublik zuvor – noch nie gekannten Deutlichkeit als Demokraten Rechtsextremen gegenübertreten müssen, so zeigt dies im Besonderen: Thomas Mann ist aktuell! Es ist ein Glückgriff, dass der S. Fischer Verlag Manns mahnende Redensammlung „Deutsche Hörer!“ genau jetzt neu aufgelegt hat. Thomas Mann ist in seinen Reden aus den USA – in die der Literaturnobelpreisträger ungewollt ins Exil gegangen war, in dem er ein Flüchtling war – nicht müde geworden, wie ein Mahner in der Wüste, wie ein Sisyphos, der immer wieder neue Wege in die Köpfe der Deutschen suchte, dem eigenen Volk den kommenden Niedergang zu prophezeien, sollten sie nicht den Nazis den Gehorsam verweigern. Thomas Manns Worte sind nicht nur historisch. Sie lassen sich – erschreckenderweise – an vielen Stellen in unserer Zeit auf uns bekannte Populisten und vom Verfassungsgericht als gesichert rechtsextreme Parteien anwenden!