Erschienen im S. Fischer Verlag
(Rezensionsexemplar, also Werbung)
Die Verflechtung von Jahrestagen
Manche Jahrestage kommen wie geplant um die Ecke, dabei sind sie doch nur ein zufälliges Spiel der Zahlen. Aber es ist schon bemerkenswert, dass wir in diesem Jahr den 150. Geburtstag des literarischen Jahrhunderttalents Thomas Mann feiern und gleichzeitig den 80. Jahrestag des Endes des 2. Weltkriegs begehen werden. Wenn wir dann noch sehen, dass wir kurz vor einer Bundestagswahl stehen, bei der wir in einer – in der Bundesrepublik zuvor – noch nie gekannten Deutlichkeit als Demokraten Rechtsextremen gegenübertreten müssen, so zeigt dies im Besonderen: Thomas Mann ist aktuell! Es ist ein Glückgriff, dass der S. Fischer Verlag Manns mahnende Redensammlung „Deutsche Hörer!“ genau jetzt neu aufgelegt hat. Thomas Mann ist in seinen Reden aus den USA – in die der Literaturnobelpreisträger ungewollt ins Exil gegangen war, in dem er ein Flüchtling war – nicht müde geworden, wie ein Mahner in der Wüste, wie ein Sisyphos, der immer wieder neue Wege in die Köpfe der Deutschen suchte, dem eigenen Volk den kommenden Niedergang zu prophezeien, sollten sie nicht den Nazis den Gehorsam verweigern. Thomas Manns Worte sind nicht nur historisch. Sie lassen sich – erschreckenderweise – an vielen Stellen in unserer Zeit auf uns bekannte Populisten und vom Verfassungsgericht als gesichert rechtsextreme Parteien anwenden!
Eine klare, authentische Haltung
Mely Kiyak lobt in ihrem Vorwort zurecht, dass Thomas Mann nicht zu denen gehörte, die sich – wie plötzlich viele andere – in der Retrospektive, nach dem Untergang der NS-Diktatur, deutlich zum menschenverachtenden Regime ablehnend äußerten, sondern dass er dies zeitgleich während dessen Existenz tat. Spätestens seit seinem offenen Brief am 3. Februar 1936 in der Züricher Zeitung, in der er geäußert hatte, dass „… aus der Gegenwärtigen deutschen Herrschaft nichts Gutes kommen kann, für Deutschland nicht und für die Welt nicht“, begann Mann öffentlich klar, deutlich und direkt die Naziherrschaft anzugreifen. Er konnte nicht wissen, wie die Geschichte weiter gehen würde. Er begriff dies scheinbar als seine Aufgabe ans deutsche Volk und wurde somit während des 2. Weltkriegs mit seinen Ansprachen in der BBC ein (Für-) Sprecher eines demokratischen Deutschlands. Eines Gesichts Deutschlands, an das andere Nationen nicht mehr glaubten.
In seinen über 50 kurzen Ansprachen (5 bis 8 Minuten) wird absolut deutlich: Hier spricht ein von den westlichen Demokratien vollkommen überzeugter Mensch, der sich nicht aus berechenbarem Vorteil oder dem Versuch sich reinzuwaschen artikuliert. Das macht Thomas Mann in seinen demokratischen Ansichten, in seiner Haltung, so authentisch.
Ein Gedankenexperiment:
Tauschen wir in den folgenden Sätzen doch einfach den Begriff „Führer“, durch einen uns bekannten Despoten unserer Zeit aus und ersetzen wir in diesen Sätzen „deutsch“ mit „dessen“ Volk:
“Der Führer hat in seiner Verachtung des deutschen Volkes, seiner Überzeugtheit von der Feigheit, Unterwürfigkeit, Dummheit dieser Menschenart, ihrer grenzenlosen Fähigkeit, sich belügen zu lassen, oft Ausdruck gegeben und nur jedesmal vergessen, eine Erklärung dafür hinzuzufügen, wie es ihm gelingt, gleichzeitig in den Deutschen eine Weltherrschaft bestimmte Herrenrasse zu sehen.“ (Seite 27)
Diese und ähnliche Beispiele zeigen Manns fabelhafte und zeitlose Analyse, wie Diktatoren, Despoten, ja heutige Populisten funktionieren. Leider brauchen wir in Deutschland wohl wieder einen solchen Mahner, einen Menschen mit Kultur, mit Werten, die er so deutlich artikuliert. Und somit ist „Deutsche Hörer!“ im Jahr 2025 ein höchst aktuelles Buch. Es wird Zeit wieder mehr Thomas Mann zu lesen. Und gerade sein 150. Geburtstag, sollte uns dazu einladen.