(hier in der Fassung der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe)
Erschienen im S. Fischer-Verlag
(Rezensionsexemplar, also Werbung)
Felix Krull – Urvater von Anna Delvey und Belle Gibson
Die Felix Krulls sind in der Welt nicht weniger geworden- es werden zurzeit scheinbar immer mehr. Und schon immer hat uns dieser Menschentypus mit dem ausgeprägten Münchhausensyndrom – obwohl rücksichtslos und Schaden bringend – fasziniert. Sie sind verrucht, schamlos – aber sie haben scheinbar vor allem eines, was uns fasziniert: Eine riesige couragierte Freiheit (solange der lange Arm des Gesetzes sie nicht erreicht hat). Die direkten Nachfahren Krulls haben – wie er – auch das Potential zu Medienstars. Wie eine Hommage an ihre Lebenswerke erhielten Frank Abagnale, in Form eines Blockbusters („Catch me if you can“ mit Leonardo DiCaprio) oder aktuell Anna Delvey und Belle Gibson ihre eigenen Netflix-Serien.
Felix Krull ist charmant, besitzt Charisma. Lernt man ihn kennen, muss man ihn mögen. Sein ganzes Tun und Handeln kann er – bei aller Lüge, bei allem Betrug oder bei Diebstahl – auf fast altruistische Art und Weise rechtfertigen.
Wohlstandsverwahrlosung! „Wir hatten vorher ein Wiener Café besucht und dort süßen Punch getrunken, während mein Vater Absinth durch einen Strohalm zu sich genommen hatte…“
Felix Sozialisierung ist durch Lug und Trug gekennzeichnet. In einer Form, die wir heute wohl Wohlstandsverwahrlosung nennen würden (Partys zwielichtiger Erwachsener und intensiver Alkoholmissbrauch – und sehr viel mehr), erlernt er früh, dass man sich durch das Vorspielen falscher Tatsachen in einen Vorteil bringen kann und dies auch selbstverständlich darf. Betrügen ist für Familie Krull ein gängiges, normales Verhalten. Dies wird zum Beispiel deutlich, wenn man den kleinen Jungen öffentlich als angebliches Wunderkind an der Geige darstellt, der eigentlich aber nichts auf dem Instrument vollbringen kann. Es folgen Schulabstinenz (denn seine Eltern liebten den „Morgenschlummer“ und er ist ein gekonnter Simulant) und somit ein Leben als dandyhafter Lebenskünstler ohne Schulabschluss.
Thomas Mann und sein Felix Krull
Schon vor dem 1. Weltkrieg arbeitete Thomas Mann am „Felix Krull“, der in verschiedenen Ausgaben 1922 und 1923 erschien, dann noch einmal in veränderter Fassung 1937 und letztlich 1954. Aber einen richtigen Abschluss hatte Thomas Mann für den Felix Krull in seinem Leben nie gefunden. Der Stoff begleitet ihn – empfand er doch auch den Künstler per se wohl als Hochstapler.
Felix Krull ist ein Schwätzer und dies führt Thomas Mann uns faszinierend in höchster Literatur vor. Durch eine gekonnte, uns umgarnende Sprache, schafft es Krull auch bei uns Lesern, dass wir ihm eigentlich gar nicht böse sein können. Mann lässt ihn schwätzen und entlarvt ihn gleichzeitig als hochbegabten Lügner. Seine notorischen Lügen werden seine Realität. Unter heutigen Populisten finden wir viele Felix Krulls, die Wahrheit vollkommen umkehren – Fake zu News machen.
