Es ist schon interessant zu sehen, wie unser Land, dessen Einwohner sich zurzeit so oft über seinen Niedergang beschweren, ja, darüber was alles nicht richtig läuft und die sich daher derzeit oft als Verlierer empfinden, in der Welt angesehen wird. Denn ganz anders werden wir Deutsche, unser Land und unsere Leistungen von außen betrachtet. Auf dem Anholt-Ipsos Nation Brands Index (NBI) belegte Deutschland 2021 zum siebten Mal hintereinander den ersten Platz (und 2023 den zweiten Platz). Es lohnt sich also auch hier – wie auf vielen Gebieten – den professionellen Blick eines Außenstehenden anzuhören oder durchzulesen, um vielleicht etwas mehr Objektivität in seinem eigenen Blick zu erhalten. Der britische Historiker David Blackbourn, der in Cambridge promovierte und lange Zeit in Harvard lehrte, ist seit langem ein solcher Profi auf dem Fachgebiet „Deutschland“. In seinem Werk „Die Deutschen in der Welt“ möchte er eine neue Deutsche Geschichte schreiben – eine globale Perspektive, für ein globales Zeitalter. Blackbourn spricht selbst davon, dass er seine Netze weit ausgeworfen hat: Politik, Krieg und Frieden, Wirtschaft, Kultur, Geschlecht, Bildung Naturwissenschaft, Umwelt, Rasse oder auch Religion sind seine Themen. Immer mit dem Blick, wie haben die Deutschen in der Welt agiert. So entstand nicht nur ein Buch über den Einfluss Deutscher auf viele Entwicklungen in der Welt, sondern ein Buch über den Blick von außen auf uns, auf unser Land. Ein Blick, der uns Einblick verschafft, wie wir als Deutsche gesehen, verstanden und eingeschätzt werden.

Der Krieg der Worte
Es herrscht Krieg in vielen Teilen der Welt – nicht nur militärisch. Es ist ein verbaler Krieg, um Bedeutungshoheiten. Wer die Bedeutung besetzen kann, kann die Massen beeinflussen, kann Narrative und Fakes produzieren, Demokratien destabilisieren, Territorien einnehmen, da er das Denken der Menschen dort einnimmt. Wir verwenden großkalibrige Worte nicht nur als Angriff, nein, sie kommen in einer Politik, die oft keine Kompromisse mehr kennt, wie ein Flächenbombardement daher. Diesen Krieg der Worte entflechtet der großartige britische Historiker Harold James in seinem neusten Werk umsichtig, geschickt, filigran und bringt – auf sehr klare Art – Transparenz in die oft nebulösen, kompakten, ja uns fast erdrückenden Kampfbegriffe vieler Politiker, Meinungsmacher und Ideologen.
Harold James hat uns damit ein sehr aktuelles Buch in die Hand gegeben. Ein Buch über die Kluft im Denken, die jeder von uns täglich erfährt und die bestimmt ihre aktuellen Höhepunkte im amerikanischen Wahlkampf oder in den Landeswahlkämpfen in unserem Land in diesem Jahr hatte, und die auch im kommenden Bundestagswahlkampf auf uns zukommen wird. Aber diese Zerrissenheit wird sich dadurch nicht lösen, sondern wahrscheinlich eher steigern. Sie wird uns mindestens in diesem Jahrzehnt, wenn nicht Jahrhundert weiter begleiten. Die Welt zwischen Weltoffenheit, Globalismus, Kosmopolitismus etc. und geschlossenen Systemen, wie Nationalsozialismus, Partikularismus, etc. Aber all diese und andere große politische Kampfbegriffe haben einen großen Wandel erfahren. Diesen gilt es zu kennen, um nicht zu schnell für irgendwas zu applaudieren. Harold James schafft es sehr gut und umfassend dies darzustellen, und zwar ausgehend von Wittgensteins „…die Grenze meiner Sprache bedeutet die Grenze meiner Welt“. James gibt uns auf beeindruckende Art Hilfe, diese Grenzen zu erweitern.

Herz der Finsternis | Joseph Conrad
„Ich kenne den Teufel der Gewalt, den Teufel der Gier und den Teufel glühenden Verlangens… Als ich jedoch an diesem Berghang stand, ahnte ich, daß ich im blendenden Sonnenschein dieses Landes einen schlaffen, heuchelnden, schwachsichtigen Teufel kennenlernen würde, von räuberischer, unbarmherziger Torheit.“
Kein Klassiker bringt uns den Ursprung des heutigen Elends, Leids, ja den Ursprung der Gewalt auf dem afrikanischen Kontinent wohl so nahe, wie Joseph Conrads „Herz der Finsternis“. Wieso? Ich denke, weil Joseph Conrad, der eigentlich Jozef Konrad Korzeniowski hieß, das, was er erzählte, wirklich erlebt hat. Zumindest sind Teile seines grandiosen und auch inhaltlich fürchterlichen Buches biographisch. Conrad ist in vieler Hinsicht ein Phänomen, erlernte er doch die englische Sprache erst mit Anfang zwanzig und verfasst dann in dieser Sprache dieses Werk – und auch andere – die Literaturgeschichte im anglo-amerikanischen Raum schreiben sollten. „Herz der Finsternis“ erzeugte über Jahrzehnte hinweg Kontroversen und wer es liest, wird dies bis heute verstehen. Nicht still wurden die Diskussionen um Auslegung, Wertung und/oder Verständnis. Es geht um Rassismus, chauvinistisches Sendungsbewusstsein und das Verschwinden von Menschlichkeit an diesem Ort. Dies alles gibt es natürlich nicht nur in Afrika (so konnte Francis Ford Coppola die Handlung in „Apocalypse Now“ nach Vietnam verlegen). Aber dort in Afrika hat diese Vergangenheit bis heute ihre Auswirkungen. Eine scheinbar immer wieder stattfindende Wiederauferstehung der brutalsten Gewalt, die Menschen anderen Menschen antun.

Abgrund | Robert Harris
Mit seinem neusten Werk „Abgrund“, ist Robert Harris einen etwas anderen Weg gegangen als in seinen vielen berühmten Werken zuvor. Bisher stand oft der Faktor der politischen Macht im direkten Focus seiner Erzählungen (z.B. wie Menschen damit umgehen und was es aus ihnen macht) und Beziehungsgeschichten zwischen Menschen wurden oft um die Handlung herum erzählt. In diesem Buch aber geht es Harris genau darum. Wie hat die Beziehung zweier Personen – neben persönlichen Konsequenzen und Konsequenzen für ihr direktes Umfeld – auch eventuell Auswirkungen auf die politischen Entscheidungen und die Machtverhältnisse eines Landes. Es macht uns auf offene Weise sehr deutlich, wie politisches Handeln der emotionalen Lage der handelnden Personen unterliegen kann.
Und Harris überzeugt gekonnt auch hier wieder. Was ist die besondere Magie von Robert Harris – warum wird es nicht langweilig ihn zu lesen? Ich muss dazu anmerken, dass ich alle seine Werke gelesen habe. Wenige Autoren erzählen wohl historische Romane so wie Robert Harris. Sein zeitweises skizzenhaftes Erzählen, lässt (trotzdem) immer die nötige Nähe zu seinen Protagonisten zu, die wir brauchen, um die Zeit, Gedankengänge, Ängste und Hoffnungen zu verstehen. Pluspunkt hierzu im neuesten Werk ist die riesige Quellenlange, die uns die Gefühle des englischen Premierminister Asquith intensiv und authentisch näherbringt.

Das neunte Gemälde | Andreas Storm
Ich hätte es nicht für möglich gehalten und hatte die Veröffentlichung der Reihe rund um den Kunstexperten Lennard Lomberg von Autor Andreas Storm bisher nicht mitbekommen, aber nun bin ich mehr als begeistert. Denn bisher hatte ich mit einem Autor mit Robert Harris Qualitäten im deutschsprachigen Raum nicht gerechnet. Das mitreißende und eindrucksvolle Auftaktwerk „Das neunte Gemälde“ ist eine wirklich komplexe und fesselnde Geschichte quer durch Europa, durch die deutsche Geschichte der letzten 80 Jahre und ein Eintauchen in die weltweite, millionenschwere Kunstszene. Ein gutes Buch für alle, die z.B. auch „Der Club Dumas“ (verfilmt unter dem Titel „Die neun Pforten”) von Arturo Pérez-Reverte lieben. Andreas Storm bringt genau diese dunkle, morbide Atmosphäre von tiefgreifenden Geheimnissen in der Geschichte. Darüber hinaus verbindet er sehr gut recherchierte Geschichte mit einem intelligent durchdachten Kriminalfall, der immer wieder noch einmal neue Wendungen mit sich bringt. All dies macht das Buch zu etwas besonderem in der Szene der Historischen Romane und Krimis, denn nur wenige Autoren schaffen in diesem Ambiente solch komplexe Konstruktionen, die genau durch diese Komplexität so realistisch herüberkommen.

21 | Wulf Dorn
Ich gebe zu, dass ich sehr selten Hörbücher höre, denn „Bücher“ bedeuten für mich vor allem Lesen und das gute haptische Gefühl des Buchrückens in der Hand. Aber mein Erlebnis mit der Hörbuchfassung von Wulf Dorns „21“ hat mich jetzt an den Punkt gebracht, mir wohl des Öfteren zukünftig solche akustischen Erlebnisse zu ermöglichen. Hier heißt es, sich zurücklehnen, abtauchen und mit Nikka – der Protagonistin, die aus ihrer Sicht hier erzählt – in eine wirklich schräge Geschichte zu gleiten.
Darüber hinaus wird deutlich, dass Wulf Dorn nicht nur den Anspruch hat, eine Coming-of-Age Story und einen Grusel-Thriller zu erzählen Nein, er hat den Anspruch etwas über das menschliche Leben zu erzählen. Seine Geschichte spielt zwischen den Welten und Erzählerin Sonja Ströhl erzählt uns diese Geschichte auf besonders interessante Art.

Nacht der Rache | Edith Niedieck
Es wäre nicht fair Rezensionen zu schreiben und dabei zu behaupten, dass man immer vollkommen neutral ans nächste Buch herangeht. Bei “Nacht der Rache” von Edith Niedieck ist es schon ein rein äußerlicher, eher geringer Faktor, der mich doch sehr beeinflusst. Ihr Kriminalhauptkommissar Baack ermittelt in der mir wohl sympathischsten Stadt Deutschlands, nämlich in Köln. Und dies bringt bei mir schon ungewollt Pluspunkte, wenn wir am Ebertplatz, der Lanxess Arena, in St. Gereon oder im Colonia-Hochhaus sind. Das bringt schon eine gute Atmosphäre, also viel schönes Lokalkolorit.
Aber Köln bedeutet auch: Kölsch, Karneval, Klüngel und all das hat dieser Krimi mit dabei!
Niedieck präsentiert einen Krimi mit aktuellen Themen, rund um die Metropole am Niederrhein. Morde und Sabotagen geschehen und alles steht im Zusammenhang mit dem politisch höchst aufgeheizten Thema des Hambacher Forstes und einem Energieriesen mit drei Buchstaben (beginnt mit R).

Dezember 41 |William Martin
Für seinen historischen Thriller „Dezember 41“ hat Autor William Martin ein besonderes Szenario gewählt. Gerade für uns deutsche Leser ist dies von besonderer Bedeutung, spielt die Geschichte doch vor allem rund um die obskure Vereinigung des Amerikadeutschen Bundes, eines quasi Fan-Clubs Adolf Hitlers, während der 30er Jahre, in den USA, die dort einen faschistischen Staat gleich dem NS-Reich aufbauen wollten. Zwar erscheint dieses Szenario als vielleicht verstaubt und in seiner Art weit weg, aber lassen uns doch gerade die jüngsten Äußerungen aus der trumpschen Republikaner Partei mit einem deutlich fanatisch rassistischen, antisemitischen Ton aufhorchen, dass es solche Bestrebungen in Teilen des amerikanischen Volkes (egal ob mit oder ohne deutsche Wurzeln) schon immer gab. Mit diesem Wissen wird dieses Buch in seiner historischen Kulisse doch plötzlich sehr aktuell.

In die andere Richtung jetzt | Navid Kermani
Navid Kermani ist klar und zugewandt zu den Menschen, die er bei seinen Reisen trifft. Er hat diese besondere Gabe, so dass Menschen – fremde Menschen – sich ihm gegenüber öffnen. An diesen besonderen Momenten lässt er uns teilhaben. Und all dies macht seine Darstellung in seinem Werk „In die andere Richtung jetzt“ für den Leser besonders intensiv. Ein Bericht, eine Reportage, ein Sachbuch, das uns auf einfühlsame Art gelungen, wenig nüchtern-sachlich entgegenkommt. Denn das will das Werk nicht! Es geht zwar um eine Sache, aber vor allem um Menschen. Das Buch ist Darstellung, Anklage und Herausforderung für uns. Im Zentrum steht Afrika – Kermanis Reise durch viele Teile Ostafrikas. Er legt mit seinem Blick den Finger in die Wunde der westlichen Ignoranz, unserer Ignoranz, gegenüber den großen. brutalen, schrecklichen Kriegen und den menschenverachtenden Verhältnissen Afrikas. Obwohl wir uns in unserer westlichen Medienwelt der globalen Nachrichten für so umfassend informiert halten, machen seine Worte klar, dass wir Afrika höchstens punktuell wahrnehmen. Die hunderttausende von Toten, die vergewaltigten, verstümmelten, gepeinigten Opfer, schaffen es nicht in den Fokus oder gar Randbereiche unseres Lebens – nicht in unsere Wohnzimmer. Und genau deshalb ist Kermanis Buch so wichtig! Es ist erschütternd, oft von einer Direktheit, die uns sehr fordert oder vielleicht auch mal überfordert. Aber genau dies ist wichtig, richtig, denn es gilt diesen Opfern eine Stimme zu geben. Ansonsten wird sich die Richtung Afrikas niemals ändern.

Mein Italien mit Berlusconi | Michaela Namuth
In der Person des ehemaligen US-Präsidenten Trump mögen wir heute wohl den bekanntesten Vertreter des Polit-Populisten erkennen. Jedoch ist er nicht der Prototyp dessen und auch nicht der Vorreiter dieses demokratiefeindlichen Politikers, der nicht als „normaler“ Politiker gesehen werden will. Diese historische Einordnung als der erste Politpopulist in einer westlichen Demokratie muss man Silvio Berlusconi zugestehen. Und er hat am Ende des letzten Jahrhunderts eine Figur geschaffen, die heute von vielen gespielt wird: Medien nutzen, keine eigene Agenda zu haben, sondern nur das Negativgeschreie der sich immer beschwerenden Masse zu bedienen. Ja, Politiker zu sein und gleichzeitig in einer “Die-da-oben”-Rhetorik sich als Nicht-Politiker darstellen. Oder zu den Superreichen des Landes zu gehören und sich gleichzeitig als Vertreter des „kleinen Mannes“ darzustellen. Darüber hinaus ein chauvinistischer, nicht mehr zeitgemäßer Vertreter des Sexismus, ein Frauenverächter zu sein und seine Eskapaden mit minderjährigen Mädchen, wie ein Werbeschild eines wahren mächtigen Imperators, vor sich herzutragen. Autorin Michaela Namuth hat als Journalistin jahrzehntelang in Rom gearbeitet und gelebt. Sie kam 1994, im Jahr des politischen Beginns und Aufstiegs Berlusconis zum Ministerpräsidenten nach Rom. Ihr fabelhafter, umsichtiger Rückblick ist eine Zeitreise hin zur heutigen italienischen Gesellschaft und hilft uns vieles zu verstehen.