Es herrschen die grausamsten Diktatoren, die die Welt sich vorstellen kann. Sie morden, quälen millionenfach – entfachen den größten Krieg der Menschheit. Und was macht der erste Vertreter des christlichen Glaubens? Des Glaubens, der angeblich für Menschlichkeit, Nächstenliebe, Fürsorge steht? Der angebliche Stellvertreter Gottes und Christi auf Erden? Ein Mann, der sich als Nachfolger eines Märtyrers sieht, der für seine Überzeugung gestorben ist? Welche Reaktion kommt aus seinem Palast? Was sagt Pius XII zu Hitler und Mussolini? Er schweigt oder hält tief exegetische Predigten, die sehr viel Spiel lassen, wie man sie verstehen kann. Nichts Konkretes, keine Hilfe, kein Wort für die Millionen unschuldigen Opfer! Das Schweigen Pius XII ist in diesem fabelhaften, großen Werk von Pulitzer-Preisträger David I. Kerzer fast nicht auszuhalten! Ein wichtiges Werk, ein – nach wie vor – brisantes Thema! Denn es macht klar: Pius XII ging es darum seine Institution zu retten – vielleicht sich zu retten, aber nicht um die wehrlosen Opfer der Faschisten und der Nationalsozialisten.

Angst | Ivar Leon Menger
Es ist wohl das “Must-have” im Thrillerbereich des deutschen Buchmarktes in diesem Sommer 2023. Nach seinem sensationellen Erstlingswerk „Als das Böse kam“, präsentiert sich Ivar Leon Menger als besonders schnell und produktiv in seiner Kreativität und veröffentlicht nun – schon ein Jahr später – sein so dringend erwartetes Zweitwerk. Und es präsentiert sich mutig anders! Schon in den ersten Zeilen wird klar: Hier reproduziert niemand ein mögliches aufgewärmtes Erfolgsrezept. Nein, hier geht ein Autor weiter, zeigt sich wandelbar und auf geniale Art unberechenbar. Und? Ist es nicht genau das, was wir bei einem Thriller haben wollen? Die Unberechenbarkeit!
Schnell sind wir im und beim Thema: Stalking. Stalking ist unfair, unvorhersehbar, ist Psychoterror! Und…wir sind in Berlin! Und wir erfahren: „Berlin ist voller Irrer”!

Surrender – 40 Songs, eine Geschichte | Bono
Ja, ich muss hier direkt zugeben, dass ich absolut nicht neutral an dieses Buch herangehen konnte. Ich bin seit meiner Jugend der totale Fan der irischen Band U2 und vor allem ihres charismatischen Sängers Bono (zuerst noch Bon Vox, gebürtig aber eigentlich Paul David Hewson), der die literarisch oft tiefgreifenden Texte dieser Band (und manche Texte sind ein Mysterium für den Zuhörer) verfasst. U2 ist nicht irgendeine Band – U2 hat all die Menschen, die ihre Jugend in den 80er/90er ansiedeln geprägt.
Somit möchte ich gar nicht versuchen meine Rezension als „neutral“ darzustellen. Das kann sie nicht sein – dass vermögen meine Gedanken nicht. Um meiner Herangehensweise zumindest etwas den Versuch einer kritischen Distanz zu geben, kann ich höchstens die Fragestellung an mich selbst stellen: Wurden deine sehr hohen Erwartungen an dieses Buch ansatzweise erfüllt? Und hier muss ich ehrlich und unmissverständlich sagen: Ja!
Und genau das möchte ich hier erklären

Cancel Culture – Ende der Aufklärung? | Julian Nida-Rümelin
Unsere Gesellschaft steigert und spaltet sich immer extremer im Streit. Es erscheint, dass die verschiedenen Pole sich immer unversöhnlicher gegenüberstehen! Ein Stein z.B. des Anstoßes: Political Correctness der Sprache! Aber geht es hier überhaupt um Sprache? Geht es nicht darum bestimmtes Denken, bestimmte Meinungen zu verbieten? Geht es um die Sprachpolizei oder gar um orwelsches Neusprech? Woke-Sprache oder Intoleranz? „Cancel Culture“ ist das Reizwort! Und Julian Nida-Rümelin nähert sich diesem Thema philosophisch gekonnt und souverän. Mutig ist ein solches Buch zu dieser Zeit in dieser Gesellschaft, denn es gleicht emotional bei vielen Gruppierungen in unsrer Zeit einem Minenfeld. Dazu geht Nida-Rümelin geschickt in die Geschichte der Philosophie. Die Beispiele wirken oft wie Analogien. Deutlich wird, dass es den Versuch, unliebsame Meinungen moralisch zu unterbinden – ja, eventuell sie ganz auszulöschen, immer schon gab. Nida-Rümelin hilft mit seinem Weg dem Thema etwas die vorgefertigte emotional verkrustete Meinung zu nehmen. Es wird wieder sachlicher! Wir beginnen uns kritisch mit der Methode auseinanderzusetzen und sind weniger in z.B. Geschlechts- und/oder Gesellschaftsdebatten.

London Killing | Oliver Harris
Lange, lange wollte ich diesen Krimi schon lesen, da er mir von vielen Seiten als England-Fan empfohlen wurde. Aber eigentlich mag ich keine Kommissare wie Nick Belsey, die 100te Probleme im Privatleben haben. Kein Geld, zerstörtes Privatleben, Ärger im Job, zu viel Alkohol, und, und, und! Man hat sehr oft bei diesen Leuten das Gefühl, sie können sich nicht auf den Fall konzentrieren. Ja, man hat immer das Gefühl, man bekommt eine Story, die man im Krimi nicht bestellt hat. Doch dieses Buch würde anders überhaupt nicht funktionieren. Und das gibt diesem Buch eine besondere Note!

Anatomie des Verbrechens – Meilensteine der Forensik | Val McDermid
Ein Sachbuch? Bei dieser Autorin? Habe ich etwas falsch verstanden? Ich war verwundert, als ich den ersten Werbehinweis auf dieses Buch in die Finger bekam. Und was es für ein Sachbuch ist! Mehr als nur das eigentliche Thema über die großen Meilensteine der Forensik. Nein, wir lernen etwas über diese erfolgreiche schottische Autorin selbst. In der Dynamik so vieler Sätze und Abschnitte dieses Buches verrät Val McDermid, was sie an Mord, an Verbrechen fasziniert. Diese Motivation, diese Neugierde steckt an! In akribischen wissenschaftlichen Rekonstruktionen von Tathergängen, präsentiert sich hier eine Fachfrau. Hier lernen wir wahrscheinlich- weit weg von ihren mitreißenden Krimis – die wahre Motivation der Erfolgsautorin kennen. Und man liest begeistert, welches Wissen sie von dieser besonderen Wissenschaft hat. Auch wenn es zum Beispiel einmal unappetitlich wird und wir das Arbeiten von Maden oder Schmeißfliegen (die mit zwei Haken an ihrem Mund verwesendes Fleisch zerkleinern können) geht.

Das Chalet | Ruth Ware
Robinsonaden sind mein Ding! Sie kitzeln in Extremsituationen die Abgründe von Charakteren heraus, die man im Alltag doch so gut kaschieren kann. Dies vor allem, wenn eine Gruppe junger, dynamischer, hipper Start-up Freaks auf engstem Raum hockt und sie sich ihre Egos aneinander abarbeiten. Eingesperrt und ohne Kontakt nach außen ist der Psychokoller bei diesem extrovertierten Menschenschlag vorprogrammiert. Bei Ruth Ware ist hier die „Insel“ ein Luxusresort in den rauen französischen Alpen, umgeben von einem Meer aus Schnee! Lawinenabgang und sie sind wie eingeschneit, handlungsfähig, Menschen verschwinden und es kommt zu Morden! Spätestens jetzt kann man das Buch nicht mehr zur Seite legen!

Glanz und Größe – Der Aufbruch Europas 1648 – 1815 | Tim Blanning
Welch ein Werk! Ein Werk für alle Geschichtsfreaks und – fans! Für alle, die sich gerne in die tiefen der Geschichte abseilen und es lieben, dort die Welt zu erforschen und erkunden. Glanz und Größe meint hier den Aufbruch Europas in die Neuzeit. Aber für mich passt es zu diesem großartigen, voluminösen Werk, welches allein schon durch seinen Umfang (über 900 Seiten mit Quellen und Kartenteil) absolut besticht! Wie so oft, sind es Menschen außerhalb Europas, die uns die Geschichte Europas besser nahebringen. Vielleicht ist es dieser Blick von außen, der neutraler bewertet – somit nie die „Nationale Brille“ auf hat. Tim Blanning schafft dies auf jeden Fall.

Der Abstinent | Ian McGuire
Ich mag gut recherchierte historische Romane, die mal nicht an den typischen Orten (London, Rom, Paris) und mit den typischen, historischen Personen (berühmten Könige, überhaupt Blaublütern aller Zeiten, berühmten Politiker, etc.) spielen. Somit ist „Der Abstinent“ eine wunderbare, willkommene Abwechslung im Genre! Schauplatz hier ist eine der englischen Metropolen der Industriellen Revolution: Manchester in den 1860er Jahren. Eine schmutzige, laute, quirlige Stadt der Arbeiter und mittendrin der immer wieder aufkeimende Konflikt zwischen England und den Iren, die hier eine Art Enklave haben. Solch ein Ort in solcher Zeit ist Schmelztiegel der politischen Probleme, ist Schmelztiegel zischen „Oben“ und „Unten“, zwischen Bevölkerung und Staatsvertretern, zwischen den Nationalitäten. Wenn dann noch eine Winzigkeit geschieht, können schnell die sozialen Probleme alles zum Explodieren bringen. Somit sind hier Ort und Zeit eine geniale Wahl!

Adieu, Osteuropa – Kulturgeschichte einer verschwundenen Welt | Jacob Mikanowski
“Das kaleidoskopartige Muster aus Sprachen, Berufen und Gesellschaftsklassen, das das Leben in Osteuropa strukturierte, wirkte auf Außenstehende oft rätselhaft, aber auch für Einheimische konnte es eine Herausforderung darstellen.”
Und so wirkt es bis heute auf uns! Jacob Mikanowski erzählt hier liebevoll und emphatisch diese Geschichte, in der Form einer Kulturgeschichte!
Es gibt kein Land, das Osteuropa heißt oder Menschen, die sich als Osteuropäer sehen. Daher hat dieses Buch einen wunderbaren, bezaubernden Ansatz dieser Geschichte Osteuropas, es sieht das historisch Verbindende in vielen Teilen gelebter Kultur. Dort spricht wohl kaum jemand von einer Geschichte, sondern von lettischer oder ukrainischer, etc. Geschichte. Es ist also in diesem Buch erst einmal der Blick von außen auf einen gemeinsamen Kulturraum – von sich gegenseitig prägenden Ländern. Ein Blick auf viele Länder, die während der Sowjetzeiten oft so grau wirkten und die in ihren Nationalitäten, Religionen, Geschichten so vielfältig und bunt sind.