Stell dir vor, du bist ganz unten. Job weg, Freund weg, Wohnung weg. Das Leben hat eine Dynamik, die du so nicht wolltest. Doch dann bekommst du den Hauptgewinn. Da freuen sich alle mit. Endlich gewinnt mal jemand, der/die vom Leben so schlecht behandelt wurde. Ivar Leons Menger vierter Thriller ist absolut eine Geschichte in der Jetzt-Zeit. Allein schon sein Aufschlag ist top aktuell. Denn wir alle kennen – sei es aus eigener leidvoller Erfahrung und der unserer Freunde und Bekannten – den heiklen, harten Kampf um eine bezahlbare Wohnung und somit das Gefühl, bei den überfüllten Wohnungsbesichtigungen, der/die verlorene Bittsteller/in zu sein. Und genau, weil dieser Auftakt so unscheinbar, mitten aus dem Leben unserer Zeit kommt, lassen wir uns in die Geschichte hinziehen. Das Setting ist Berlin, in dem wir uns alle gut orientieren können. Die urbane Atmosphäre hat somit alles, was die Millionenstadt ausmacht: Vertrautes, aber auch die große Anonymität. Und vor allem Modernität. Wenn irgendwo in Deutschland die Zukunft des Wohnens einen Schritt weiter gemacht hat, dann doch bestimmt hier – in der größten Stadt des Landes. Und Menger stellt uns den Tower vor – vielleicht eine Zukunft des Wohnens. Aber will man wirklich so wohnen?
Kategorie: Krimi/Thriller

Die Vögel, Wenn Gondeln Trauer tragen und andere Novellen | Daphne Du Maurier
Du Mauriers Kurzgeschichten stammen aus einer Zeit, die noch keine harte Einteilung der Autoren nach Thrillern, Fantasy, Historischer Roman, Science-Fiction, Dystopie kannte. Autoren waren auf fabelhafte Art nicht festgelegt. Es ging nur darum gute Geschichten zu erzählen. Und so sind auch Du Mauriers Geschichten genreübergreifend. Genau das macht sie so spannend, denn wir wissen nie, wo wir hingeleitet werden. Und: Wie wird alles enden?
Daphne Du Maurier (1907 – 1989) war wohl eine der einflussreichsten Autorinnen des letzten Jahrhunderts. Jedoch scheinen viele sie nicht zu kennen. Auch wird sie nur selten genannt, wenn genau die Frage danach gestellt wird. 1952 schrieb sie, die hier vorliegende Kurzgeschichte, „Die Vögel“, die 1963 von Alfred Hitchcock verfilmt wurde und somit Filmgeschichte schrieb. Überhaupt beeinflusste Du Maurier den Großmeister des Films mit ihren Werken. „Rebecca“ und „Jamaica Inn“ (als Film „Riffpiraten“ und auch schon hier bei Textopfer behandelt) wurden ebenfalls große Erfolge des Regisseurs. „Wenn Gondeln Trauer tragen“ wurde zwar nicht von Hitchcock, jedoch mit dem unvergesslichen und großartigen Donald Sutherland 1973 erfolgreich verfilmt. Eine düstere, fast mystische Stimmung durchzieht den Film, wie auch die Kurzgeschichte. Eine Geschichte um den Tod, um Verlust, um Leben.

John | Bernhard Aichner
In Bernhard Aichners Welt werden Personen vollkommen neu besetzt. Er verdreht unsere Welt. John und Yoko sind nicht die lieben, etwas naiven, pazifistischen Aktivisten. Nein, sie sind eine Person, morden auf makabre Art, um ihre Gerechtigkeit zu erhalten, um zu überleben. Und dabei überschreiten sie Grenzen oder besser gesagt: Sie kennen keine Grenzen. Bernhard Aichner ist sich mit seinem neuesten Werk, selbst treu geblieben, ohne langatmig, langweilig oder eintönig zu werden. Ganz im Gegenteil. Sein Werk „John“ ist schnell, treibt uns von Seite zu Seite. Und dabei hatten wir uns doch alle nach dem Vorgängerwerk „Yoko“ gefragt: Was gibt es noch zu erzählen?
Wer den kurzweiligen, schnellen Thriller, fürs allabendliche Abschalten sucht, wird mit „John“ das richtige Buch finden. Man sollte, muss aber nicht „Yoko“ gelesen haben, um in diese rasante Fahrt einzusteigen. Man sollte sich in Aichners Welt aber darauf einstellen, dass viele Menschen „verschwinden“.

Reset – Die Wahrheit stirbt zuerst | Peter Grandl
Peter Grandls beeindruckendes Werk „Reset” hebt sich schon mit den ersten Zeilen deutlich vom großen Markt der Krimis, Kriminalromane, etc. die sich in Deutschland Thriller nennen, ab. Schon von Beginn an macht der Autor uns Lesern deutlich, dass es hier um weitaus mehr als schnöde Unterhaltung geht. Peter Grandl will unterhalten, ja, aber er hat mehr als nur eine durch und durch spannende Geschichte zu erzählen. „Reset“ verdeutlicht, wie – vielleicht in einem der ungünstigsten Fälle – unsere postmoderne digitale Welt sich urplötzlich dramatisch wandeln könnte. Unser fast religiöser Glaube an die immerwährende Verlässlichkeit von Technik hat uns in tägliche Abhängigkeiten gebracht, die beim Zusammenbruch, Millionen von Leben gefährden und kosten würden. Und wir verlassen uns dabei gleichzeitig oft allein auf unsere menschlichen Wahrnehmungen, unsere doch so leicht zu täuschenden Sinne.
Wenn die Welt keine verlässlichen Fakten mehr kennt, wenn z.B. Gesehenes nicht mehr verlässlich ist, dann stürzt die Welt ins Chaos. Denn wie können wir Fakten und Fiktion unterscheiden, wenn diese mit Logik nicht mehr zu unterscheiden sind? Was ist verlässlich? Da macht sich Angst und Panik breit.
Grandls Vision ist düster. Sie ist gut durchdacht, sehr gut recherchiert und daher so besonders bedrückend.

Die Victoria Verschwörung | Andreas Storm
Mit der „Victoria Verschwörung“ hat Andreas Storm nun seinen dritten Band rund um den Kunsthistoriker Dr. Lennard Lomberg geschaffen. Eine große Erwartungshaltung von seinen Lesern hieß es von Seiten des Autors zufriedenzustellen, denn die Bände zuvor waren historische Kriminalromane auf einem sehr hohen und im deutschen Sprachraum besonderen Niveau. Fakten und Fiktion wurden fabelhaft unterhaltsam vermischt, so dass es selbst für den geübten Historiker eine Herausforderung war, diese während der Lektüre irgendwie zu sortieren. All das machte den Charm der Lombardserie aus. Und genau dort – wo er seine beiden Eingangsromane stilistisch beendet hat – hat er nun, mit viel Erzählkunst und geschichtlichem Knowhow, wieder geschickt und gekonnt angesetzt.
Schon auf den ersten Seiten bekommt der Leser verschiedenste Fäden in die Hand und fragt sich: Was haben all diese historischen Ereignisse miteinander zu tun? Was wird sie zusammenführen? Es erscheint, als ob Storm neue historische Realitäten setzt. Das macht auf vielen unterschiedlichen Ebenen des Romans einen riesigen Spaß. Ein Buch, das bestimmt nicht nur geschichtsversierte Leser anspricht, sondern auch jeden, der die klassische Kriminalgeschichte liebt. Wir beginnen ungewollt Spekulationen zu kreieren – wir wollen mitlösen – wir wollen dabei sein!

Nacht der Ruinen | Cay Rademacher
Es gehören viele Ebenen zu einem Roman, der nicht nur unterhalten will, sondern uns eine Zeit, Umstände, Verständnis für Menschen, für ihr Denken erklären möchte. Cay Rademacher erzählt eine Geschichte, die wunderbar in die Stadt Köln passt. Und dabei ist es nicht das Köln, das vor unserem geistigen Auge erscheint – es ist Köln in Trümmern. Ein graues, trostloses Leben am Ende. Das zerstörte Köln bietet die eindrucksvolle, und manchmal grausige Kulisse und steht stellvertretend für viele Orte nach dem langen, fast 6-jährigen Krieg. Schon oft haben Autoren ihre Geschichten in diese Kulissen gesetzt, jedoch ist Rademachers Geschichte sehr individuell. Es ist nicht „nur“ wie im Untertitel angekündigt ein Kriminalroman – nein, es ist Geschichte im Schmelztiegel. Dazu bedient sich Rademacher gekonnt historischen Persönlichkeiten und fiktiven Personen, die wie Stereotypen ihrer Zeit wirken. Die Denunziantin oder der Polizist, der eigentlich nur Polizist und nicht Nationalsozialist sein wollte oder der jugendliche Schwarzhändler, der irgendwie den Tag überleben möchte. Und dazwischen Joe, der nun als amerikanischer Soldat in seine einstige Geburtsstadt zurückkommt, aus der er als Jude 1938 vertrieben wurde. Mit einem Hauch von Nostalgie und einer großen Wut schaut er auf seine einstigen Mitbürger. Und ausgerechnet Joe bekommt den Auftrag, den Mord an einem amerikanischen Soldaten aufzuklären. Eine explosive Mischung.

Steling – Wolfsgeheul | Ute Mainz
Er ist das Thema, mit dem man in Sekundenschnelle in den ländlichen Gebieten unseres Landes ganze Gesellschaften sprengen, entzweien und auf Konfrontation bringen kann: Der Wolf! Schaden und Feind oder schützenswert und wichtig? Kommissar Steffens gerät in seinem Einsatz genau in die Konfliktzone der gegnerischen Parteien, welche ständig im Kampf um die Argumentationshoheit sind. Und hier wird nicht nur mit Worten gefochten. In der Nordeifel, dem Dreiländereck zu Aachen oder am Steling (der höchsten Erhebung dieser Gegend), stehen sich die Menschen mit ihrer Position scheinbar unversöhnlich gegenüber. Es erscheint, dass jeder hier eine Meinung dazu hat. Eine aufgeheizte Atmosphäre, in der nicht viel fehlt, bis es eskalieren kann. Und dazwischen der sehr eigene, kernige Kommissar Steffens. Auch im vierten Teil der Steling-Serie erfahren wir wieder sehr authentisches über die Menschen und die Landschaft rund um Monschau und Mützenich.

Der Premierminister | Craig Oliver
Es ist immer besonders faszinierend, wenn ein Autor uns ein Werk präsentiert, das seine Welt und seine Kreativität miteinander verbinden. Craig Oliver weiß, wovon er uns in seinem Thriller „Der Premierminister“ berichtet, denn er war von 2011 bis 2016 Kommunikationsdirektor des Premierministers Cameron in der Downing Street No. 10. Seine Schilderungen rund um das Leben, um den Ort der Handlung und das Miteinander dort dürfte intensiv von seinen Erfahrungen und von den gedachten Szenarien geprägt sein. All das macht das Buch zu etwas Besonderem in der großen, großen Schar der Konkurrierenden Neuerscheinungen auf dem Markt der Thriller und Krimis. Ein Blick des Kenners, des Eingeweihten. Und noch etwas ist ganz anders. Kennen wir als Hauptperson in vielen Thrillern (auch in Filmen, wie z.B. „Airforce One“) das Staatsoberhaupt oder den Ministerpräsidenten als Verteidiger der Freiheit, ist sein Premier das totale Gegenteil: Kein Idealist! Ein egozentrischer Karriererist. Ein charakterlicher Schwachmat, dem man schon nach kurzer Zeit wünscht, dass ihn möglichst schnell der (literarische) Tod ereilt. Ein Seitenhieb Olivers auf seinen ehemaligen Chef?

Die Akte Madrid | Andreas Storm
Sehr zeitnah zum ersten Band von Andreas Storms „Lennard Lomberg Reihe“, habe ich nun also den zweiten Band mit großen Schritten durchgelesen, wohlwissend, dass das wohl für einen Autor nicht das Erstlingswerk das schwierigste Werk. Nein, es ist wohl das zweite Buch, in dem er beweisen muss, dass das fabelhafte erste Werk kein Zufallsprodukt war, sondern auf Können, Kreativität und Talent beruht. Und was soll ich lange drumherum reden? Andreas Storm hat diese hohe Prüfung eines Autors mit Bravour bestanden. Mit der Akte Madrid hat er fasst fließend an seinen ersten Kriminalroman „Das neunte Gemälde“ angeschlossen. Auch dieses Buch ist für Fans von guten, niveauvollen historischen Romanen ein durchweg mitreisendes Buch. Darüber hinaus tauchen wir wieder tief in die europäische Kunst- und Kulturszene ein, wenn sein Protagonist, der Kunstschätzer Lennard Lomberg, auf die Suche nach einem verschollenen oder gar entführten Meisterwerk ist. Beutekunst! Hauptambiente ist – neben einer Vielzahl europäischer Städte und Landschaften – Spanien. Überhaupt handelt es sich bei diesem Werk um einen europäischen Krimi und somit einen sehr modernen Krimi. Frei nach Suedes: „Europe is our playground“!

Das neunte Gemälde | Andreas Storm
Ich hätte es nicht für möglich gehalten und hatte die Veröffentlichung der Reihe rund um den Kunstexperten Lennard Lomberg von Autor Andreas Storm bisher nicht mitbekommen, aber nun bin ich mehr als begeistert. Denn bisher hatte ich mit einem Autor mit Robert Harris Qualitäten im deutschsprachigen Raum nicht gerechnet. Das mitreißende und eindrucksvolle Auftaktwerk „Das neunte Gemälde“ ist eine wirklich komplexe und fesselnde Geschichte quer durch Europa, durch die deutsche Geschichte der letzten 80 Jahre und ein Eintauchen in die weltweite, millionenschwere Kunstszene. Ein gutes Buch für alle, die z.B. auch „Der Club Dumas“ (verfilmt unter dem Titel „Die neun Pforten”) von Arturo Pérez-Reverte lieben. Andreas Storm bringt genau diese dunkle, morbide Atmosphäre von tiefgreifenden Geheimnissen in der Geschichte. Darüber hinaus verbindet er sehr gut recherchierte Geschichte mit einem intelligent durchdachten Kriminalfall, der immer wieder noch einmal neue Wendungen mit sich bringt. All dies macht das Buch zu etwas besonderem in der Szene der Historischen Romane und Krimis, denn nur wenige Autoren schaffen in diesem Ambiente solch komplexe Konstruktionen, die genau durch diese Komplexität so realistisch herüberkommen.