Eigentlich ist der Krieg im Sommer 1944 schon verloren. Nach dem D-Day, dem Putschversuch der couragierten Soldaten um Staufenberg herum, kommen nun die Alliierten von Osten, Süden und Westen aufs Reichsgebiet zu. Aber der „große Diktator“ ignoriert dies, versteht dies wahrlich nicht. Es ist der Auftakt zum Kriegsjahr mit den meisten Toten im 2. Weltkrieg – das Grande Finale eines Wahnsinns. Und so geht das Sterben auf den Schlachtfeldern, den Städten oder Konzentrationslagern in immer höheren und schnelleren Frequenzen weiter. Es wird in seinen Opferzahlen die fast fünf vorherigen Kriegsjahre auf schreckliche, barbarische Art übertreffen. Und diese große Weltgeschichte ist mit so unzählig vielen Menschen verbunden, von denen einige hier in den Mittelpunkt gestellt werden. Ob Freund, ob Feind – keiner kann sich dem im Sommer 1944 entziehen. Christian Bommarius erzählt pointiert in Schlaglichtern und lässt uns teilhaben an einzelnen Schicksalen und verheerenden Konsequenzen für ganze Bevölkerungsgruppen. Ein Buch, das dem Krieg Gesichter gibt und viele Aspekte erzählt, die bei anderen Darstellungen des zweiten großen Kriegs oft „unter den Tisch“ fallen. Spannend, informativ und mit sehr viel Menschlichkeit.

Essex Dogs | Dan Jones
1346, Auftakt zu einem Krieg, den wir den 100-jährigen Krieg nennen werden. Und an vorderster Spitze des englischen Heeres von Edward III eine zehnköpfige Söldnertruppe, die sich die Essex Dogs nennen. Auftakt zu einem historischen Roman, einer großen Abenteuergeschichte. Und dies erzählt von einem Schwergewicht des modernen Sachbuchs und vielen BBC-Dokumentationen: Dan Jones, dessen Geschichtsbücher in den letzten Jahren der Maßstab für gute und unterhaltsame europäische Geschichtsschreibung im Bereich der Populärgeschichte sind, zeigt in diesem historischen Roman sein Erzähltalent als Romancier und vor allem sein Know-how. Er präsentiert uns ein kriegerisches, gewalttätiges Mittelalter – fern ab von so manchem „kitsch- sauber-Historienroman”. Jones schafft es, die Spannung eines Krimis in dieses Buch zu zaubern, wenn die Essex Dogs z.B. durch eine Stadt schleichen, die verlassen wirkt, jedoch vielleicht ein Hinterhalt ist. Das zeigt, dass hier jemand schreibt, dem es nicht nur um spröde Geschichte geht, sondern, der uns eine Atmosphäre des kriegerischen (und stinkenden) Mittelalters präsentieren will.

Sapiens | Yuval Noah Harari
ch hatte es noch nicht gelesen, aber sehr viel darüber gehört: „Sapiens“ vom genialen Oxforder Professor Yuval Noah Harari. Es stand schon lange auf meiner Bücherwunschliste! Und so nahm ich nun die (erweiterte) Neuauflage, welche in diesem Jahr anlässlich des ersten Erscheinens vor 10 Jahren auf dem deutschen Büchermarkt herausgebracht wurde, zum Anlass, es endgültig zu lesen.
Ich gebe zu – ich bin begeistert und verstehe die Begeisterung rund um den Autor! Harari hat einen fabelhaften, unterhaltsamen Schreibstil, der die oft trockenen Fakten intelligent und auch mit feiner Ironie präsentiert. Zudem besticht er mit einem wunderbaren kritischen Blick – manchmal auch mit Nachsicht – auf die Menschheit und ihre Geschichte. Hier ist nicht nur ein Historiker am Werk, sondern auch ein Philosoph. So wie Harari erzählt, haben wir das Gefühl von etwas Großem und Großartigen zu hören. Seine Begeisterung für diese Geschichte reißt uns mit. Er sprüht förmlich! Umsichtig, faktenreich und mit Wortgeschick und -witz. Kein Buch, dass man zwischendurch mal ein paar Minuten liest, es hat mir sofort immer Stunden genommen und währenddessen viele, viele neue Perspektiven gegeben. Gerne hätte ich einige Semester bei diesem faszinierenden Historiker studiert – aber ich habe zumindest dieses Buch, das ich in naher Zukunft noch einmal lesen werde.
Harari erzählt die Geschichte der Menschheit, indem er die revolutionären Entwicklungsschritte und deren Erfindungen (wie z.B. sesshaft zu werden, Schrift, Verwaltung, etc.) hinterfragt. Nicht jeder Schritt war ein Ergebnis eines voll umfassenden, durchdachten Handelns, sondern oft Konsequenz vorheriger Handlungen oder eines vorläufigen Glaubens an einen Fortschritt oder einer Sicherheit. So sind wir fern ab eines Masterplans der Entwicklung, sondern mehr in einem (sehr menschlichen) „Try and Error“ und der Weg zurück (wenn es mal nicht so gut gelaufen ist) fällt uns halt mehr als schwer. Es ist die Geschichte eines Wesens mit Verstand, das aber auch sehr geprägt ist durch vorschnelle Fehler.

Das Blut der Opfer | Stuart MacBride
Ja, Stuart MacBride schlägt auch mal direkte Töne an, aber das mag als Schotte auch in seiner Mentalität liegen. Ich möchte aber betonen, dass dieses Buch, im Gegensatz zu manchen Büchern zuvor des fleißigen Autors, sich diesbezüglich in einem Rahmen hält. Aber all das passt zu seinen eigenwilligen und zeitweise schrägen Charakteren, die nicht gerade um Sympathie betteln. Detective Sergeant Lucy McVeigh sucht seit siebzehn Monaten im (fiktiven) schottischen Ort Oldcastle, den als Bloodsmith betitelten Serienmörder und die gesamte Polizei hat das Gefühl keinen Schritt weiter zu sein. Ihr Verhalten verwirrt – aber, es gab einen Todesfall in ihrem Einsatz und zudem wird der öffentliche Druck immer größer. Sie ist besessen von ihrer Arbeit, die wohl gleichzeitig auch der Versuch der Eigentherapie ist. Begleitet wird sie von ihrem kleinen, verschrobenen Kollegen, den alle nur den Dunk nennen (to dunk – im Englischen eintunken, also der „Eintunker“).
Das Besondere des Bloodsmith ist, dass er eine – für einen Serienkiller – seltsame Botschaft an seinen Tatorten hinterlässt: „Helft mir!“ In Blut geschrieben, über den Leichen seiner Opfer. Warum ruft ein Killer nach Hilfe? Was will der Killer hier? Ein böses Spiel? Häme an seine ermordeten Opfer?

Braunes Erbe | David de Jong
Ich habe sehr, sehr viele Bücher zum Thema Nationalsozialismus gelesen und die Schwämme an „neuen Büchern“, die uns altbekanntes zum Thema sagen, ist groß. Aber nun durfte ich ein Buch lesen, dass mir durch seine fabelhafte, umfangreiche Recherche neue Einblicke, vor allem bezüglich der Systemgewinner und ihrem geschichtsrevisionistischen Umgang mit ihren Taten gab. Das Buch handelt von vielen, uns bekannten Familien, wie Quand, Flick, Porsche, Piëch, Oetker und vielen mehr – ja, um das Anbiedern des Großkapitals an Macht und an alle, die die Bevölkerung entrechten möchten. David de Jongs engagiertes Werk „Braunes Erbe“ legt den Finger in die Wunde von Familien, die fast übergangslos in Nazi-Deuschland und in der Bundesrepublik sehr viel Kapital anhäuften, die also sowohl in der Diktatur als auch in der Demokratie zu den finanziellen Gewinnern gehörten – die sich einfach anpassten an Menschenausbeutung, Rassismus, Ignoranz gegenüber Mord und Todschlag und die dann in der Bundesrepublik sich sogar zeitweise als eigentlich Widerstandskämpfern profilieren wollten. All das geschieht, in dem man angebliche unabhängige Historiker seine Geschichte aufschreiben lässt und vielleicht Minimalitäten zugibt. Doch David de Jong hat sehr gut recherchiert und zeigt uns, dass „Vorher-Nachher-Verhalten“ auf entlarvende Art. Ein großartiges Buch, eine Bereicherung für jeden Geschichtsinteressierten und eigentlich ein „Muss“, für jeden in der Bundesrepublik. Das Buch rüttelt auf! Die ultrareichen Familien sind die selben, wie in der NS-Diktatur! Was sagt uns dies über unser Land?

Steling – Morningshow | Ute Mainz
ür die Menschen in Nordrhein-Westfalen ist die Eifel Inbegriff der Naherholung, des ländlichen Idylls um die Ecke, des Punkts, an dem man ausspannen kann. Da denkt man bestimmt nicht an brutalen Mord und schrecklichen Todschlag. Und genau diese Gedanken machen die Krimis von Ute Mainz zu einem genialen Schachzug. Ihr Kommissar Steling ermittelt im romantischen Monschau in der Nordeifel. Und jeder, der schon einmal kurz für einen Tagestripp oder für länger dort war, darf einen kleinen, mörderischen Ausflug durch diese Bücherreihe dort verbringen. Stelings Blick auf diese Welt ist ähnlich wie der der Leser, die zumeist – wie er auch – einen urbanen Blick auf das kleine, beschauliche Städtchen haben. Stelings vorheriger Einsatzort war Köln. In diesem (1.) Band, lernt er Monschau erst kennen.

Spiel der Lügner | Clare Mackintosh
Britische Krimis sind, ähnlich wie schwedische Krimis, eigentlich immer eine Garantie für gute Unterhaltung. Durch das große Angebot an Autoren muss man schon eine gewisse Qualität besitzen, damit ein Buch auch wirklich verlegt wird. Clare Mackintosh hat diese Qualität und man muss hier im Speziellen auch sehr differenzieren: Es ist ein walisischer Krimi. Und auch wenn wir im wunderschönen Snowdonia sind und die Umgebung etwas von konservativ-ländlicher Idylle hat, so ist die Handlung doch sehr geprägt durch die modernen Medien des 21. Jahrhunderts.
Sieben Kandidaten habe sich zu einer Reality-Show gemeldet und sind froh aus 1000en von Bewerbern erwählt worden zu sein. Doch ihnen wurde nicht der wahre Grund für ihre Teilnahme genannt. Am ersten Tag erfahren sie diesen und ihnen wird klar, dass diese Sendung ihr soziales Ansehen zerstören kann, so dass sie nicht mehr in ihr normales Leben zurückkehren können. So beginnt ein gegenseitiger Kampf dies zu verhindern. Verlieren heißt hier lebenslang zu verlieren. Und wenn hier etwas geschieht, dann kann man nicht einfach ermitteln, denn die wetteifrigen Briten dürfen nicht zu früh informiert werden. Das ganze Land schaut zu!
Doch ist dies nicht schon alles extrem genug, so soll gesagt sein: Es wird auch noch einen Mord geben. Und das Opfer ist bei weitem nicht die Person, die wir als typisches Opfer in Krimis kennen.

Der Jahrhundertcoup | Thomas Heise und Class Meyer-Heuer
Dresden 25.11.2019 – der Aufschlag zu einem Bundesdeutschen Krimi. Ein Verbrechen, das niemand voraussah, da niemand geglaubt hätte, dass irgendjemand eine solche freche Dreistigkeit besitzt. Eigentlich ist Dresden sicherer geworden. Die Kriminalstatistik sank von 28.000 auf 20.000 Straftaten im Jahr. Doch in dieser Nacht wird dort der größte Schatz des Landes gestohlen, im Grünen Gewölbe!
Akribisch, ja fast minutiös stellen die Autoren detailverliebt den Raub dar. So schnell und exakt, wie die Einbrecher agieren, so unkoordiniert und konträr aller Vorschriften und Notfallpläne reagieren die Sicherheitsangestellten. Wer so handelt wie die Täter, muss hartgesotten sein und Insiderkenntnisse sind von Nöten. Vielleicht spielte auch das Sicherheitskonzept den Tätern entgegen, denn die Exponate wurden nicht in große, sichere Vitrinen gepackt, sondern die gesamte Räumlichkeit wurde als große Vitrine angesehen. Alles sollte möglichst offen präsentiert werden. Scheinbar zu offen!

Putins nutzlose Idioten | Gerhard Henschel
Man sollte darauf hinweisen: Es ist Satire! Gerhard Henschel zeigt uns in seinem Buch, wie nahe oft gewollte Fake News und Satire sich sind. Unsere Vorstellungen von Geheimdiensten sind natürlich durch Blockbuster wie James Bond, Mission Impossible, etc. intensiv geprägt. Fest verbunden damit das hohe Niveau von Technik, Gerissenheit und strategischem Vorgehen. Was tut dem Diktator da mehr weh, als als Dilettant in dieser professionalisierten High-Tech-Welt dargestellt zu werden. Vor allem, wenn man selbst – wie Putin – ja eigentlich vom Fach ist.
Nein, man darf die Gefahr des FSB nicht unterschätzen, aber Henschel macht das alles sehr menschlich, wenn der russische Geheimdienst von seinen vielen Vorhaben etwas überfordert erscheint. So zumindest das Bild, das Gerhard Henschel in „Putins nutzlose Idioten“ auf höchst amüsante, intelligente, kreative und oft sehr, sehr witzige Art präsentiert. Ein kurzweiliges Buch, dass es schafft sich ständig zu übertreffen. Der russische Geheimdienst scheint unter Druck, da er dauernd neu liefern muss. Denn funktioniert die Zersetzung nicht mehr, dann ist die wichtigste Waffe im Propagandakrieg verloren. Was bleibt dann noch? Denn der direkte Vergleich der Lebensumstände der Bevölkerung im Allgemeinen, würde dann zu sehr hervorstechen. Was passiert also, wenn die Lüge lächerlich wird?

Wie ich unsterblich wurde | Nero Campanella
Wer will es nicht sein? Unsterblich! Unsterblich für die Menschheit! Das besondere Werk geschaffen, das vielleicht Jahrhunderte in die Menschheitsgeschichte nachhallte.
Nero Campanella kreiert Decker, der eigentlich ein Dilettant ist, aber Großes in sich spürt. Er erklärt uns, wie er unsterblich wurde.
Das Buch spielt während der Coronazeit und der Autor überfällt uns etwas damit, dass er die Hauptperson Decker vorstellt, indem er diesen sich erst einmal übergeben lässt. Decker ist ein etwas runtergerockter Typ. Aber auch ein etwas sensibler Mensch, dem bei heftigen Nachrichten direkt der Magen versagt. Nun ist er, Hegelianer und Schriftsteller, auf dem Weg ins tiefste Brandenburg – etwas fern ab. Eingeladen vom saarländischen Kultusministerium soll er ein Buch schreiben. In einer Villa mit einigen anderen Gästen, Pseudokünstlern, Pseudo Intellektuellen, haust er einige Wochen mit großem, kreativem Ziel. Decker hat sich nichts anderes vorgenommen als die Deutsche Gegenwartsliteratur in die Luft zu sprengen.