Lange, lange wollte ich diesen Krimi schon lesen, da er mir von vielen Seiten als England-Fan empfohlen wurde. Aber eigentlich mag ich keine Kommissare wie Nick Belsey, die 100te Probleme im Privatleben haben. Kein Geld, zerstörtes Privatleben, Ärger im Job, zu viel Alkohol, und, und, und! Man hat sehr oft bei diesen Leuten das Gefühl, sie können sich nicht auf den Fall konzentrieren. Ja, man hat immer das Gefühl, man bekommt eine Story, die man im Krimi nicht bestellt hat. Doch dieses Buch würde anders überhaupt nicht funktionieren. Und das gibt diesem Buch eine besondere Note!
Anatomie des Verbrechens – Meilensteine der Forensik | Val McDermid
Ein Sachbuch? Bei dieser Autorin? Habe ich etwas falsch verstanden? Ich war verwundert, als ich den ersten Werbehinweis auf dieses Buch in die Finger bekam. Und was es für ein Sachbuch ist! Mehr als nur das eigentliche Thema über die großen Meilensteine der Forensik. Nein, wir lernen etwas über diese erfolgreiche schottische Autorin selbst. In der Dynamik so vieler Sätze und Abschnitte dieses Buches verrät Val McDermid, was sie an Mord, an Verbrechen fasziniert. Diese Motivation, diese Neugierde steckt an! In akribischen wissenschaftlichen Rekonstruktionen von Tathergängen, präsentiert sich hier eine Fachfrau. Hier lernen wir wahrscheinlich- weit weg von ihren mitreißenden Krimis – die wahre Motivation der Erfolgsautorin kennen. Und man liest begeistert, welches Wissen sie von dieser besonderen Wissenschaft hat. Auch wenn es zum Beispiel einmal unappetitlich wird und wir das Arbeiten von Maden oder Schmeißfliegen (die mit zwei Haken an ihrem Mund verwesendes Fleisch zerkleinern können) geht.
Das Chalet | Ruth Ware
Robinsonaden sind mein Ding! Sie kitzeln in Extremsituationen die Abgründe von Charakteren heraus, die man im Alltag doch so gut kaschieren kann. Dies vor allem, wenn eine Gruppe junger, dynamischer, hipper Start-up Freaks auf engstem Raum hockt und sie sich ihre Egos aneinander abarbeiten. Eingesperrt und ohne Kontakt nach außen ist der Psychokoller bei diesem extrovertierten Menschenschlag vorprogrammiert. Bei Ruth Ware ist hier die „Insel“ ein Luxusresort in den rauen französischen Alpen, umgeben von einem Meer aus Schnee! Lawinenabgang und sie sind wie eingeschneit, handlungsfähig, Menschen verschwinden und es kommt zu Morden! Spätestens jetzt kann man das Buch nicht mehr zur Seite legen!
Glanz und Größe – Der Aufbruch Europas 1648 – 1815 | Tim Blanning
Welch ein Werk! Ein Werk für alle Geschichtsfreaks und – fans! Für alle, die sich gerne in die tiefen der Geschichte abseilen und es lieben, dort die Welt zu erforschen und erkunden. Glanz und Größe meint hier den Aufbruch Europas in die Neuzeit. Aber für mich passt es zu diesem großartigen, voluminösen Werk, welches allein schon durch seinen Umfang (über 900 Seiten mit Quellen und Kartenteil) absolut besticht! Wie so oft, sind es Menschen außerhalb Europas, die uns die Geschichte Europas besser nahebringen. Vielleicht ist es dieser Blick von außen, der neutraler bewertet – somit nie die „Nationale Brille“ auf hat. Tim Blanning schafft dies auf jeden Fall.
Der Abstinent | Ian McGuire
Ich mag gut recherchierte historische Romane, die mal nicht an den typischen Orten (London, Rom, Paris) und mit den typischen, historischen Personen (berühmten Könige, überhaupt Blaublütern aller Zeiten, berühmten Politiker, etc.) spielen. Somit ist „Der Abstinent“ eine wunderbare, willkommene Abwechslung im Genre! Schauplatz hier ist eine der englischen Metropolen der Industriellen Revolution: Manchester in den 1860er Jahren. Eine schmutzige, laute, quirlige Stadt der Arbeiter und mittendrin der immer wieder aufkeimende Konflikt zwischen England und den Iren, die hier eine Art Enklave haben. Solch ein Ort in solcher Zeit ist Schmelztiegel der politischen Probleme, ist Schmelztiegel zischen „Oben“ und „Unten“, zwischen Bevölkerung und Staatsvertretern, zwischen den Nationalitäten. Wenn dann noch eine Winzigkeit geschieht, können schnell die sozialen Probleme alles zum Explodieren bringen. Somit sind hier Ort und Zeit eine geniale Wahl!
Adieu, Osteuropa – Kulturgeschichte einer verschwundenen Welt | Jacob Mikanowski
“Das kaleidoskopartige Muster aus Sprachen, Berufen und Gesellschaftsklassen, das das Leben in Osteuropa strukturierte, wirkte auf Außenstehende oft rätselhaft, aber auch für Einheimische konnte es eine Herausforderung darstellen.”
Und so wirkt es bis heute auf uns! Jacob Mikanowski erzählt hier liebevoll und emphatisch diese Geschichte, in der Form einer Kulturgeschichte!
Es gibt kein Land, das Osteuropa heißt oder Menschen, die sich als Osteuropäer sehen. Daher hat dieses Buch einen wunderbaren, bezaubernden Ansatz dieser Geschichte Osteuropas, es sieht das historisch Verbindende in vielen Teilen gelebter Kultur. Dort spricht wohl kaum jemand von einer Geschichte, sondern von lettischer oder ukrainischer, etc. Geschichte. Es ist also in diesem Buch erst einmal der Blick von außen auf einen gemeinsamen Kulturraum – von sich gegenseitig prägenden Ländern. Ein Blick auf viele Länder, die während der Sowjetzeiten oft so grau wirkten und die in ihren Nationalitäten, Religionen, Geschichten so vielfältig und bunt sind.
Frauengeschichten – Kulturgeschichten aus Kunst und Musik | Anja Weinberg
Wo finden wir sie in der Geschichte? Die Frauen in der Musik, Kunst Kultur? Gab es sie? Oh, ja!
Anja Weinberger gibt uns in ihrem Buch viele Antworten dazu! Ein Buch, das durch viele Geschichten in Form von individuellen kurzen Biografien, ja, durch viele Darstellungen von Frauenleben in den Jahrhunderten eine klare Antwort gibt: Sie waren immer da! Wir müssen uns nur die Mühe machen, genauer hinzuschauen- die Mühe machen sie zu finden. Und es ist spannend dies gemeinsam mit der Autorin zu erforschen! Wir erleben Frauen, die um ihr Werk und Ansehen kämpften, aber auch zeitweise “schräge Typen” waren.
Noch wach? | Benjamin von Stuckrad-Barre
Ja, ich habe nun ein Buch gefunden, das ich des Öfteren in diesem Jahr auch einigen Menschen, aus gegebem Anlass, schenken werde. Denn ich kenne solche Typen! Männer, irgendwo zwischen Mitte 30 bis Mitte 60, die sich jenseits von Gesetzen, Regeln, Verpflichtungen (welche nach ihrer Meinung für andere, aber nicht für sie gelten) empfinden. Ständig unter Strom! In ihrem Umfeld mächtige Männer oder die, die immer mächtig wirken möchten. Für die Bildung, Wissen, Erfahrung nicht unbedingt viel zählen – die sich lächerlich darüber machen! Die in ihrem Allmächtigkeitsgefühl nerogleich nur noch ihre Wahrnehmung und Wahrheit ausleben, akzeptieren und Unterwerfung erwarten. Kritik wird sofort bekämpft – Kritik bedeutet Krieg!
Moral – Die Erfindung von Gut und Böse | Hanno Sauer
Ja, und wir brauchen es mehr denn je! Unsere “Moral” ist zurzeit scheinbar im Dauerkrisenmodus und scheint sich in linken und rechten Identitätskonflikten aufzureiben. Wer glaubt, dass dies ein Thema von Vorgestern ist, muss beantworten, wie wir zukünftig zusammenleben wollen und sollen. Daher ist dieses Buch zutiefst aktuell und absolut am Puls der Zeit! Und ich gebe zu: Es fällt mir an dieser Stelle sehr schwer nicht zu spoilern, weil es nun so viel aus diesem Buch zu berichten gäbe!
Sprechen wir über Moral, klingt doch im Allgemeinen darin für uns schnell ein Verbot, etwas von Restriktion, mit. Ja, etwas, dass unser Handeln, unsere Freiheit einschränkt. Aber die Moral in unseren Gesellschaften ist etwas tief Verbindendes – gemeinsame moralische Vorstellungen sind der Kitt der Gesellschaft. Gleichzeitig kann es auch für andere Teile den Ausschluss bedeuten. Aber wir brauchen Moral – einen festen Normen- und Wertekomplex unseres Handelns. Selbst der Mensch, der sein Handeln als amoralisch einordnet, muss eine Vorstellung davon haben, was Moral bedeutet.
Die Geburt des römischen Kaiserreichs | Barry Strauss
Immer wieder setzen wir uns mit der Geschichte Roms auseinander- unzählige Male. Und warum? Weil uns alles als so typisch menschlich erscheint! Wir erkennen die Schwächen und Stärken rund um das Thema der Macht. Denn viele Geschichten haben die Züge von Parabeln. Bei der Schlacht von Actium stehen sich 31v. Chr. Marcus Antonius mit Kleopatra und Octavian mit seinem Admiral Marcus Vipsanius Agrippa gegenüber. Eine sehr heterogene Gruppe, die das Schicksal dort zusammengebracht hat. Marcus Antonius, Lebemann, Spross einer Skandalfamilie aus Rom. Dagegen: Octavian, der 18jähriger Haupterbe Cäsars und der so vor allem den türöffnenden Namen erhält. Sein Freund Agrippa, sein Unterstützer der ersten Stunde! Und – auf der Seite des großen Heerführers Markus Antonius – die ptolemäische (also eigentlich griechische), mit einem Gespür für Macht ausgestattete, ägyptische Königin Kleopatra. Ein vom individuellen Ehrgeiz jedes Einzelnen getriebene Quartett.