Doch das Messer sieht man nicht | I.L.Callis Textopfer, Mai 12, 2024Mai 12, 2024 Erschienen im Emons- Verlag (Rezensionsexemplar) Leben auf dem Pulverfass Berlin 1927, die Stadt pulsiert zwischen Bars, Huren, Künstlern, Reichtum und Armut, Alkohol und Kokain, Revuen, politischen Extremen, grell leuchtenden Reklamen und dem Anschein des Glamours des Filmgeschäfts. Und in dieser aufgeheizten Stadt des Chaos schlägt ein Mörder erbarmungslos zu, den bald schon alle den Ripper von Berlin nennen werden. I.L. Callis entführt uns in diese Zeit der Extreme, der instabilen Weimarer Republik. Sie erzählt uns nicht nur einen Krimi, sie erzählt uns von den Realitäten des harten Lebens in Deutschlands Hauptstadt am Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Deutschland lebt desillusioniert in eine Zeit der Inflation, Armut, Arbeitslosigkeit, Kriegsversehrter – ja, all dies im Kontrast zum Luxus und der Exzesse der Reichen. Ein Leben auf dem Pulverfass! Callis hat die historischen Umstände und das Leben der Endzwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts gut recherchiert – historisch und auch geografisch. Sie gibt uns die Bilder für eine Zeitreise und bettet die Geschichte tief und an vielen Stellen in diese Zeit ein. Eine besondere Journalistin Im Mittelpunkt steht Anaïs Maar, eine junge, aufstrebende Journalistin aus gutbürgerlicher Schicht, die als schwarze Frau in den Extremen der Weimarer Republik natürlich einen sehr schweren Stand hat. Die Auswahl der Autorin für diese besondere Protagonistin ihres Werkes scheint den Leser erst einmal zu verblüffen, machen wir uns doch im Allgemeinen keine Gedanken darüber, dass es auch in dieser Zeit schon eine Minderheit der People of Colour gab. Dies sieht man z.B. an der berühmten Dibobe-Petition von Martin Dibobe, der 1896 als Teilnehmer der ersten deutschen Kolonialausstellung im Treptower Park aus Kamerun in die deutsche Hauptstadt gekommen war oder dem heute wahrscheinlich bekanntesten Deutschen mit diesem Hintergrund H.J. Massaquoi, der Autor des lesenswerten Buches “Neger, Neger, Schornsteinfeger”. I.L. Callis setzt ihren Kriminalroman somit direkt in ein gesellschaftliches Spannungsfeld, um das wir wissen. Denn der Rassismus in vielen Teilen der Bevölkerung und erst recht der aufkommende Nationalsozialismus, wird dies tief in menschliche Abgründe führen. Man ahnt schon jetzt die Gefahr, denn sie schwebt neben den Morden über der Geschichte. Eine besondere Frau Aber Anaïs überrascht noch mehr. Sie ist die Frau der 20er Jahre, die die neuen Möglichkeiten, nach dem Abstreifen der weiblichen Rollenklischees der Kaiserzeit, vollends nutzt. So betreibt sie – noch illegal in Deutschland jener Zeit, Boxen als Freizeitbeschäftigung und schafft es so, sehr wehrhaft zu sein. Anaïs wirkt so sehr modern auf uns. Sie hat ihre Nischen in ihrer Zeit gefunden. Selbstbewusst und etwas furchtlos ist diese Hauptperson. Callis schafft es routiniert den Leser auf falsche Fährten zu locken und wir fiebern und leiden mit Anaïs. Ein sehr guter historischer Krimi, der beiden Aspekten vollkommen gerecht wird! Krimi/Thriller Emons-VerlagKrimi