Erschienen bei dtv
(Rezensionsexemplar, also Werbung)
KI-Wohnen
Stell dir vor, du bist ganz unten. Job weg, Freund weg, Wohnung weg. Das Leben hat eine Dynamik, die du so nicht wolltest. Doch dann bekommst du den Hauptgewinn. Da freuen sich alle mit. Endlich gewinnt mal jemand, der/die vom Leben so schlecht behandelt wurde. Ivar Leons Menger vierter Thriller ist absolut eine Geschichte in der Jetzt-Zeit. Allein schon sein Aufschlag ist top aktuell. Denn wir alle kennen – sei es aus eigener leidvoller Erfahrung und der unserer Freunde und Bekannten – den heiklen, harten Kampf um eine bezahlbare Wohnung und somit das Gefühl, bei den überfüllten Wohnungsbesichtigungen, der/die verlorene Bittsteller/in zu sein. Und genau, weil dieser Auftakt so unscheinbar, mitten aus dem Leben unserer Zeit kommt, lassen wir uns in die Geschichte hinziehen. Das Setting ist Berlin, in dem wir uns alle gut orientieren können. Die urbane Atmosphäre hat somit alles, was die Millionenstadt ausmacht: Vertrautes, aber auch die große Anonymität. Und vor allem Modernität. Wenn irgendwo in Deutschland die Zukunft des Wohnens einen Schritt weiter gemacht hat, dann doch bestimmt hier – in der größten Stadt des Landes. Und Menger stellt uns den Tower vor – vielleicht eine Zukunft des Wohnens. Aber will man wirklich so wohnen?
„Die Geister die ich rief, werd’ ich nicht mehr los.”
KI, die große Hoffnung und Furcht der menschlichen Zukunft. Menger spielt vor allem mit unseren Ängsten da vor. Er zeigt aber auch, dass wir uns durch unsere menschliche Trägheit gerne – trotz oft anfänglicher Ablehnung – davon bedienen und somit das Leben erleichtern lassen. Und wenn sie dann noch eine weibliche Stimme hat, finden wir sie sehr schnell sympathisch, verbinden wir doch menschliche Wärme, Freundlichkeit und Vertrauen mit ihr. Und sie heißt auch noch „Kim“. Wie kann man da misstrauisch werden?
Darüber hinaus fühlen wir uns mächtig, über den Dingen stehend, hier oben im 32. Stock. Ja, im Turm schwebt man förmlich über der Stadt. Das hat dann was von “Oben” – angekommen, göttlich blickt man auf die normalen Menschen herab, die diese Technik und die Macht darüber, nicht haben. Aber wir wissen ja: „Die Geister, die ich rief,…!“
Im postmodernen Spinnennetz
Mengers Thriller ist nicht der erste Thriller, der KI zum Mittelpunkt seiner Handlung macht. Aber er legt es anders an und seine Conclusio ist auch eine andere. All dies findet in einer von ihm kreierten Atmosphäre irgendwo zwischen Orwells „1984“, „Rosemarys Baby“ und den Romanen von John Marrs statt. Eine Grundfrage ist vielleicht, wann beginnt die Entmündigung, wann endet der freie Wille. Wieviel Entmündigung nehmen wir hin, weil wir es gar nicht merken oder weil es einfach unserer Trägheit entgegenspielt? Merken wir die Grenzüberschreitungen? Schließlich teilen wir unbedarft sehr viele Daten mit irgendwelchen Clouds und Firmen im IT-Bereich.
Der freie Wille der KI versus dem freien Willen des Menschen. Wenn du den Moment der Übergriffigkeit nicht merkst, sitzt du schon im postmodernen Spinnennetz.