In der Person des ehemaligen US-Präsidenten Trump mögen wir heute wohl den bekanntesten Vertreter des Polit-Populisten erkennen. Jedoch ist er nicht der Prototyp dessen und auch nicht der Vorreiter dieses demokratiefeindlichen Politikers, der nicht als „normaler“ Politiker gesehen werden will. Diese historische Einordnung als der erste Politpopulist in einer westlichen Demokratie muss man Silvio Berlusconi zugestehen. Und er hat am Ende des letzten Jahrhunderts eine Figur geschaffen, die heute von vielen gespielt wird: Medien nutzen, keine eigene Agenda zu haben, sondern nur das Negativgeschreie der sich immer beschwerenden Masse zu bedienen. Ja, Politiker zu sein und gleichzeitig in einer “Die-da-oben”-Rhetorik sich als Nicht-Politiker darstellen. Oder zu den Superreichen des Landes zu gehören und sich gleichzeitig als Vertreter des „kleinen Mannes“ darzustellen. Darüber hinaus ein chauvinistischer, nicht mehr zeitgemäßer Vertreter des Sexismus, ein Frauenverächter zu sein und seine Eskapaden mit minderjährigen Mädchen, wie ein Werbeschild eines wahren mächtigen Imperators, vor sich herzutragen. Autorin Michaela Namuth hat als Journalistin jahrzehntelang in Rom gearbeitet und gelebt. Sie kam 1994, im Jahr des politischen Beginns und Aufstiegs Berlusconis zum Ministerpräsidenten nach Rom. Ihr fabelhafter, umsichtiger Rückblick ist eine Zeitreise hin zur heutigen italienischen Gesellschaft und hilft uns vieles zu verstehen.
Kategorie: Sachbuch

Israel 7. Oktober | Lee Yaron
Über dieses Buch würde ich gerne viel schreiben, aber das hieße, dieses Buch nochmals zu schreiben! Es war für mich im Bereich aktuelles Sachbuch das wichtigste Buch in diesem Jahr, um die Welt 2024 etwas mehr und besser zu verstehen.
Der Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 wird historisch nicht nur ein neues Kapitel im nichtendenden Nahost-Konflikt sein. Nein, es ist jetzt – ein Jahr später – schon abzusehen, dass dieser heimtückische, bestialische Akt der palästinensischen Hamas Terroristen eine Zäsur in dem nichtendenden Krieg ist. Mit dem hinterhältigen Anschlag auf friedliche Familien, feierten jungen Menschen und andere – völlig harmlose Bürger Israels – wurde an den Grundfesten des Staates des jüdischen Volkes gerüttelt. Erstmals wurden israelische Bürgerinnen und Bürger in ihrem Alltag, in ihrem Land, hinterhältig, systematisch und geplant zu hunderten getötet, ja massakriert, gelyncht, vergewaltigt und verschleppt. Dies hat das Land Israel erschüttert und dieses Trauma wird nicht mehr fortgehen. Aber was ist wirklich wann geschehen an diesem 7. Oktober. Dies berichtet in zeitweiser atemberaubender und bitterer, schonungsloser Konsequenz nun die junge Journalistin Lee Yaron in ihrem Werk „Israel 7. Oktober“. Ein Must-Read für jeden sich bildenden Leser in unserem Jahr 2024!
Das Buch versteht sich nicht als umfassende Chronik des Tages. Es hat einen sehr eigenwilligen Aufbau. Alles passiert wie Schlaglichter. Wir lernen Menschen kennen, ihr vorheriges Leben und Schicksal und zeitweise Geschehnisse auch über den Tag hinaus, bevor wir uns einem anderen Ort und anderen Menschen zuwenden. Aber sie alle verbindet, dass sie zu den Opfern des 7. Oktober 2023 in Israel gehören.

Rom bin ich – Cäsar. Der Aufstieg | Santiago Posteguillo
Es ist eine große Aufgabe, wenn ein Autor sich vornimmt, einen historischen Roman über einen der ganz, ganz Großen in der Geschichte zu schreiben. Schreibt man dann noch über einen ganz, ganz Großen der römischen Geschichte, kommen belesene Menschen natürlich direkt mit dem Vergleich zur fast genialen Robert Harris Cicero-Trilogie um die Ecke! Welch eine Ausgangsposition hat ein Autor dann für ein umfassendes, mehrbändiges Werk über den großen Gaius Julius Cäsar? Ehrlich? Wenn man es löst wie der spanische Literaturwissenschaftler Santiago Posteguillo, eine sehr gute! Posteguillo geht seinen sehr eigenen Weg! Er will kein Robert Harris sein! Und das ist gut so! Er präsentiert seinen sehr eigenen Stil, um uns die Person Cäsars, sein Handeln und seine Beweggründe nahezubringen. Die Beschreibungen sind oft privat bis intim. Politik und Macht sind natürlich zentrale Themen, aber er stellt uns klar einen Cäsar vor, der – zumindest in seinen jungen Jahren – in seinem Handeln mehr aus privaten, familiären Gründen heraus seine Motivation zieht. Macht ist hier noch weniger der Beweggrund. Hier wird deutlich, dass Posteguillo Literatur, die Darstellung und Wirkung des Handelns durch eine gekonnte Sprache zum Verständnis der historischen Person und die Freiräume des lyrischen Erzählens, wunderbar nutzt. Hier schreibt nicht ein Autor wie ein politischer Reporter, sondern ein Literat, der uns einen Charakter, einen Menschen näherbringen möchte. Dies ist bei einer einst realen, historischen Person immer schwer und die Auslegung und Darstellung wird bei Historikern umstritten sein. Aber es hilft sich dieser Zeit, dieser Person zu nähern. Und: Es macht einfach Spaß zu lesen und sich in dieses Szenario der großen Namen hineinzudenken!

Billie | Stefan Cordes
Das kurze Leben der Sibylla Schwarz, die oft als pommersche Sappho bezeichnet wird und während der Schrecken des 30jährigen Krieges lebte, gibt uns bis heute große Rätsel auf. Nun hat uns Stefan Cordes einen fabelhaften, emphatischen Roman beschert, indem er uns dieses Leben und das Werk der Dichterin auf eine dezente, unterhaltsame und literarisch einfühlsame Art näherbringt. Das Werk reiht sich ein, in eine Vielzahl von Romanen und Sachbüchern in unserer Zeit, die die dringende Aufarbeitung von Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, ja den kulturellen Beiträgen von Frauen in der Geschichte deutlicher hervorherben. So gelingt dem Autor ein wichtiger und gekonnter Beitrag für den Feminismus.
Aber kann „Mann“ den Feminismus wirklich so fördern, das weibliche Schreiben und die weibliche Perspektive wirklich in seiner Intensität und Wichtigkeit real darstellen? Ich finde (aus vielleicht männlich-subjektiver Perspektive): Er kann es bestens! Und ist es nicht genau das, was wir brauchen in all den – ideologisch zeitweise verbohrten – Diskursen? Ein Überwinden, der sich strikt abgrenzenden Geschlechterperspektiven, um einer Dichterin wie Sibylla Schwarz endlich das zukommen zu lassen, was sie verdient hat? Nämlich die Anerkennung als Jahrhunderttalent für alle, weit über gedachte und gemachte Grenzen hinaus. Stefan Cordes hat mit diesem Roman einen fabelhaften Weg gewählt und es macht Spaß diesen Weg hin zu „Billie“ mitzugehen. Cordes überwindet damit das Vorurteil, dass die Umsetzung und Durchführung einer solchen Annährung ein Alleinanspruch weiblicher Autoren ist. Er zeigt, dass die vorherige Ignoranz gegenüber solchen Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen in der Geschichte eine für alle gesellschaftlich zu leistende Arbeit ist.

Der Heros in Tausend Gestalten | Joseph Campell
Solltest du vorhaben einen Fantasyroman, die eigene Saga zu schreiben, eine neue Religion zu gründen oder du einfach Spaß daran hast, die Weisheit der Menschheit etwas mehr zu ergründen und zu verstehen, dann rate ich zu dieser Lektüre! Du bist in guter Gesellschaft! Denn sowohl George Lukas, Steven Spielberg, Bob Dylan, Stanley Kubrick und viele andere Künstler, die dieses große Werk der Religionsforschung voller Psychologie und Philosophie gelesen haben, betonten den besonderen Wert für ihr Schaffen, das Verständnis für z.B. Literatur, Religion, Mythologie, Psyche, dass von diesem Buch ausgeht. Nun hat der Insel Verlag Joseph Campells bahnbrechendes Werk über den Mythos als archetypische Verbindungen der Kulturen neu übersetzt herausgebracht. Ein großes Werk, dass auch nach über einem halben Jahrhundert seines Erscheinens (1949) in seiner Sprache, gedanklichen Tiefe und seinen umfassenden Beispielen und Darstellungen besticht. Und wir alle merken, wie diese Mythen, diese Heldenfiguren, ihre Wege und ihre Schicksale uns geprägten haben. Ja, wir immer wieder nach diesen Geschichten und Abenteuern suchen und unsere eigenen Leben auch danach ausrichten. Campells „tausend Gestalten“ kennen wir alle, obwohl wir sie nicht alle bisher kennengelernt haben. Aber von Harry Potter bis zum Herrn der Ringe, von Buddha bis Jesus Christus, von Siegfried bis Arthus, sie leben mit uns, prägen uns und unseren Werdegang – sie sind interkulturell! Und diese interkulturelle und interdisziplinäre Sicht darauf macht dieses Buch 2024 besonders aktuell. Es hilft besser zu verstehen, ja, das Verbindende zwischen den Kulturen zu verstehen und gibt tiefe Einsichten über uns als Menschen!

Captain Nelson – Unter der Flaggte des Königs | Mac P. Lorne
Wer ist der Mann, der hochhoben auf dem Trafalgar Square so ramponiert (fehlender Arm, fehlendes Auge) aufrecht steht. In England ist Horatio Nelson nach wie vor ein Star, ein Symbol für die historische Wehrhaftigkeit der Inselbevölkerung gegen Zugriffe von der Welt dort draußen. Nach wie vor wird er in Umfragen als größer nationaler Held genannt. Und sein Leben erscheint wie ein großes Abenteuer. Ein Abenteuer, ein Auf und Ab (privat, wie politisch) welches in Deutschland nur wenigen Geschichtsinteressierten rudimentär bekannt ist. Mac P. Lorne, der auch schon die Leben andere Seehelden in historische Romane zum Leben erweckte, hat sich nun, in diesem 1. Band über die Vita Nelsons, dem außergewöhnlichen Leben Horatio Nelsons gewidmet. Es liest sich, wie ein Abenteuerroman, in dem man sich allabendlich ins 18. Jahrh. beamen kann. Professionell geschrieben – professionell recherchiert!

Die Welt der Gegenwart – ein geopolitischer Atlas | Émilie Aubry und Frank Tétart
Um es vorweg direkt klarzustellen: Dieses Buch ist mehr als ein geopolitischer Atlas!
Und: Ich liebe die Sendung „Mit offenen Karten“ auf ARTE! Jedem/Jeder, der/die sich einen Überblick über die Welt verschaffen möchte – neue Perspektiven erleben möchte – lege ich diese Sendung mit ihren ca.10-minütigen Folgen ans Herz. Sie hilft, unsere komplizierte und komplexer werdende Welt mit ihren Verworrenheiten, Verflechtungen und historisch gegebenen Entwicklungen besser zu verstehen. Und jetzt gibt es dies als und im Buchformat! Intensiver, noch übersichtlicher!
Émilie Aubry und Frank Tétart haben nun als Buchautoren dieses besondere Sachbuch kreiert. Eine Fundgrube für neugierige Informationsfreaks – für die, die etwas mehr wissen wollen, was die Welt im Inneren zusammenhält oder trennt.
Gute Karten verschaffen uns einfacher Überblick und Orientierung in unserer Welt. Sie geben uns den Blick von „oben“ aufs Thema, auf die Welt. Für viele, die die komplexen politischen Zusammenhänge und Strukturen verstehen wollen und/oder für die, die einfach noch viel mehr verstehen wollen, tun sich hier nun neue Wege auf!

Der Untergang der Wager | David Grann
Wenn nicht noch etwas sensationelles passiert in diesem Jahr, dann kann ich an dieser Stelle behauten, dass ich mein Sachbuch 2024 gerade abgeschlossen habe. Schon nach der Vorstellung (und Begeisterung) von Denis Scheck, dessen Meinung ich oft so gut nachvollziehen kann – war mir klar – dass „Der Untergang der Wager“ ein mehr als passendes Buch für mich sein würde. Nun, nachdem ich das Buch in ca. 5 Tagen „durchgesuchtet“ habe, sitze ich hier und würde es am liebsten sofort noch einmal von vorne beginnen. Es gibt Geschichten, die sich kein Drehbuchautor erdenken könnte – es gib Geschichten, die nur das Leben, Zufall, Gott oder was es ist, schreiben kann (das dachte wohl auch Martin Scorsese, der das Buch als Film mit Leonardo DiCaprio im nächsten Jahr in die Kinos bringen wird). Hätte ein Drehbuchautor dies erdacht, so hätte er schwarz-weiß, vielleicht etwas grau schattierte Charaktere entworfen. In diesem Buch aber ist die gesamte Vielfalt menschlicher, zeitweise in sich widersprüchlicher, Charakter und ihrer Reaktionen, die sich in den Extremsituationen des Lebens nicht mehr verstecken lässt, so wunderbar klar. Es ging um Leben und Tod für die Besatzung der Wager! Wie würden wir reagieren? Wo wären unsere Grenzen? Welche würden wir überschreiten? Würden wir meutern gegen die Macht? Würden wir töten?
Eine dramatische Geschichte von Lüge, Verrat, Meuterei, Zufällen und menschlichen Schwächen und vor allem ein Kampf für jeden einzelnen ums Überleben.

Habsburgs langes Sterben | Hannes Leidinger und Lenz Mosbacher
Der Niedergang des Hauses Habsburg war ein langer Prozess, die K.u.K.-Monarchie war eigentlich schon seit ihrer Gründung zum langen Sterben verurteilt. Der Vielvölkerstaat, der aus Deutschen, Ungarn, Tschechen, Polen, Kroaten und vielen Bevölkerungsgruppen mehr bestand, war in der Zeit der sich bildenden Nationalstaaten nicht zu bändigen. Hannes
Leidinger und Lenz Mosbacher interpretieren und kommentieren kritisch den langen, zähen Verfall der Donaumonarchie über das 19. Jahrhundert hinweg, bis zum endgültigen Untergang und Scheitern am Ende des 1. Weltkriegs. Ein Buch für Österreich- und Habsburgkenner, aber bei weitem nicht für die vielen Habsburgfans, da beide Autoren (und ihre im Buch genannten Mitautoren) sich deutlich kritisch mit dem Handeln, der Politik und den Auswirkungen der K.u.K-Monarchie auseinandersetzen. Hier geht es um umsichtige, abwiegende Geschichtsschreibung, ohne Romantisierung und/oder Idealisierung. Ein guter Gegenpol zu vielen Geschichtsschreibungen im Stile der „guten, alten Zeit“ in Österreich. Es geht um einen ehrlichen Blick in die Vergangenheit!

Die letzten Stimmen des Holocaust | Louis Pawellek
Im Leben suchen wir oft nicht unsere Themen, sondern wir erhalten das Gefühl, dass die Themen uns suchen. So wirkt auch die Geschichte des jungen engagierten Autors Louis Pawellek, dessen Weg so wirkt, als hätten Fügung und Schicksal ihn langsam immer näher zum Thema des Holocaust gebracht. Und es ist begeisternd zu erleben, wie sehr ihm dieses Thema – welches in Gefahr ist, durch das langsame Aussterben der Zeitzeugen, in Vergessenheit zu geraten – zum Schreiben eines beeindruckenden Buchs gebracht hat. Pawelleks Forschungen zu einigen der letzten Überlebenden der Gräueltaten der Nazi-Diktatur ist nichts nur informativ, sondern zeigt auch, wie zufällig das Überleben und Sterben im NS-Reich hauchdünn nebeneinander verliefen.
Besonders an diesem Projekt ist, dass er nicht nur die Biografien einiger der letzten Überlebenden verantwortungsvoll darstellt, sondern dass er modern und quasi interaktiv QR-Codes mit ins Buch einbringt, über die wir uns die Interviews mit diesen Zeitzeugen, die die Grundlage seiner Forschung waren, anschauen können. Wir können somit – über das Buch hinweg – die Menschen und die Wirkung ihrer Erzählungen selbst erleben. Dieses “Add On” zum herkömmlichen Weg der Aufarbeitung gebührt besondere Aufmerksamkeit.