Als Frau war es in den vergangenen Gesellschaften noch schwerer als heute, seine Anliegen zu artikulieren, durchzusetzen und ein Leben so zu leben, wie sie es sich selbst vorstellte. Erst recht war die Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs absolut durch das Patriarchat geprägt. Selbst die geringsten Versuche die Gesellschaft mitzuprägen und mitzugestalten, unterlagen juristischen Hürden. So war ihnen der Zugang zu Bildung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schwer möglich oder gar verwehrt. Auch konnten Frauen z.B. keine Vereine gründen oder in deren Vorständen beteiligt sein. Wie überaus beeindruckend ist es dann, sich mit dem Leben der Lina Morgenstern auseinanderzusetzen, deren Biografie Gerhard J. Rekel nun veröffentlicht hat. Lina Morgenstern wirkt hier in ihrer Umgebung, wie aus der Zukunft dorthin versetzt. Sie ist selbstbewusst, kreativ, voller Tatendrang für ihre sozialen Anliegen – sei es für Kinder oder die ärmsten Teile der Bevölkerung. Rückblickend hat man das Gefühl, dass Lina Morgenstern sich nie entmutigen lies und man fragt sich, woher die junge jüdische Frau die Courage, die Energie und ihren Ideenreichtum hatte. Dieser umtriebigen Person hat Rekel nun ein mitnehmendes und sehr vitales literarisches Denkmal gesetzt. Lina Morgenstern wirkt – trotz der fast 200 Jahren von uns weg – sehr modern, und für ihre Zeit überaus emanzipiert.
Kategorie: Biographie

Born to run | Bruce Springsteen
Ein amerikanischer Musiker zieht mit seinen großen Trucks und großer Crew um die Welt. Vor seinen Konzerten versucht er zu erklären, dass die aktuelle Lage in seinem Heimatland, nicht das Amerika ist, das er besingt – er distanziert sich vom Amerika des derzeitigen amerikanischen Präsidenten. Und wie reagiert dieser? Für seine Verhältnisse, bei diesem Rockmusiker plötzlich sehr zurückhaltend. Fast keine Beleidigungen, wie bei anderen Künstlern. Warum? Wer ist dieser Bruce Springsteen, bei dem sogar der ansonsten laut pöbelnde Donald Trump fast devot reagiert? Kleinlaut wirkt. Es erscheint, dass Springsteen die Seele Amerikas so sehr verkörpert, dass der derzeitige dunkle Geist etwas zurückschreckt.
Um sich dieser besonderen, eindrucksvollen Person zu nähern, ist meine klare Empfehlung, seine 2016 erschienene Autobiographie „Born to run“ zu lesen. Eine Musikerbiografie, die so viel mehr ist als die typischen imageaufpolierenden Werke, die man ansonsten in diesem Genre kennt. „Der Boss“, ist und bleibt der Boss, ohne den Boden zu verlieren. Das Werk ist eine Autobiographie und wirkt doch an so vielen Stellen in Sprache, Wirkung und Darstellung, wie ein Roman. Ein eindrucksvolles literarisches Werk, das uns den Menschen Bruce Springsteen, seine Sichtweisen und wie sie entstanden sind, von der ersten bis zur letzten Seite erklärt, ohne jemals wie eine Rechtfertigung zu klingen. Nie großspurig, ohne Legendenbildung – nur durch die pure Darstellung der Geschehnisse seines Lebens in den USA.

Zeit der Magier – Heinrich und Thomas Mann 1871 – 1955 | Hans Wisskirchen
Geschwister – ein kompliziertes Verhältnis zwischen Liebe und Konkurrenz. Vor allem, wenn beide Brüder, wie im Fall von Heinrich und Thomas Mann, sehr eigene Typen sind und der gleichen Profession nachgehen. Sie waren Künstler und Intellektuelle. Zwei ungleiche Magier und doch vom gleichen Stamm. Natürlich lagen sie mit ihren Einschätzungen und Sichtweisen auf die damalige Welt und möglichen Entwicklungen, auch mal falsch. Aber welcher politinteressierte Mensch tat das nicht in den Wirren des 20. Jahrhunderts?
Natürlich gibt es in der heutigen öffentlichen Wahrnehmung die deutliche Dominanz von Thomas Mann gegen Heinrich, aber das war während der Lebzeiten der beiden, vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nicht so. Das ist der Blick vieler in der Retrospektive. Trotzdem sind beide Schriftsteller nur im Kontrast zueinander, in ihrer großen Verschiedenheit und Auseinandersetzung miteinander vollständig zu verstehen.
Hans Wisskirchen präsentiert uns die neusten Erkenntnisse der vergleichenden Wissenschaft über die beiden so ungleichen Brüder. Durch neue Quellen und viele Querverweise gibt es uns die Chance, mehr über beide und die Wechselwirkung der beiden aufeinander zu verstehen. Ein tiefer Einblick, der nicht nur die nüchternen Fakten zeigt, sondern vor allem die besonderen Tiefen des sehr menschlichen Verhältnisses der beiden zueinander. Manchmal sehr komplex, manchmal auch fast banal.

Billie | Stefan Cordes
Das kurze Leben der Sibylla Schwarz, die oft als pommersche Sappho bezeichnet wird und während der Schrecken des 30jährigen Krieges lebte, gibt uns bis heute große Rätsel auf. Nun hat uns Stefan Cordes einen fabelhaften, emphatischen Roman beschert, indem er uns dieses Leben und das Werk der Dichterin auf eine dezente, unterhaltsame und literarisch einfühlsame Art näherbringt. Das Werk reiht sich ein, in eine Vielzahl von Romanen und Sachbüchern in unserer Zeit, die die dringende Aufarbeitung von Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, ja den kulturellen Beiträgen von Frauen in der Geschichte deutlicher hervorherben. So gelingt dem Autor ein wichtiger und gekonnter Beitrag für den Feminismus.
Aber kann „Mann“ den Feminismus wirklich so fördern, das weibliche Schreiben und die weibliche Perspektive wirklich in seiner Intensität und Wichtigkeit real darstellen? Ich finde (aus vielleicht männlich-subjektiver Perspektive): Er kann es bestens! Und ist es nicht genau das, was wir brauchen in all den – ideologisch zeitweise verbohrten – Diskursen? Ein Überwinden, der sich strikt abgrenzenden Geschlechterperspektiven, um einer Dichterin wie Sibylla Schwarz endlich das zukommen zu lassen, was sie verdient hat? Nämlich die Anerkennung als Jahrhunderttalent für alle, weit über gedachte und gemachte Grenzen hinaus. Stefan Cordes hat mit diesem Roman einen fabelhaften Weg gewählt und es macht Spaß diesen Weg hin zu „Billie“ mitzugehen. Cordes überwindet damit das Vorurteil, dass die Umsetzung und Durchführung einer solchen Annährung ein Alleinanspruch weiblicher Autoren ist. Er zeigt, dass die vorherige Ignoranz gegenüber solchen Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen in der Geschichte eine für alle gesellschaftlich zu leistende Arbeit ist.

Heinrich VIII – Der König und sein Gewissen | Sabine Appel
Kein englischer Monarch ist wohl so bekannt wie Heinrich VIII, der nach fast 500 Jahren sogar zum „Helden“ einer erfolgreichen Fernsehserie mit 4 Staffeln wurde. Sex, Crime verkaufen sich gut und Heinrichs Geschichte klingt erst einmal so. Denn man kennt ihn vor allem wegen seiner sechs Ehefrauen, von denen zwei ihre Ehe und ihr Leben unter der Axt des Henkers im Tower of London beendeten. Heinrich war also ein grausamer, brutaler Renaissance-Herrscher, mit sehr viel Blut an seinen Händen. Und dies ist sein alleiniges Image in großen Teilen der Öffentlichkeit bis heute. Bildlich kennen wir ihn zumeist von den fettleibigen Bildern aus seinen letzten Lebensjahrzehnten. Aber wie alle Images wird dies der komplexen Person und seiner sehr komplexen Geschichte nicht gerecht. Heinrich startete als gutaussehenden Ritter, der vor der Geschichte seines Landes nicht versagen wollte. Geboren wurde er als Königssohn, aber nicht als Kronprinz. Und die Geschichte seines Lebens und seines Handels ist weitaus komplizierter und weniger gradlinig als wir sie uns vorstellen.

Surrender – 40 Songs, eine Geschichte | Bono
Ja, ich muss hier direkt zugeben, dass ich absolut nicht neutral an dieses Buch herangehen konnte. Ich bin seit meiner Jugend der totale Fan der irischen Band U2 und vor allem ihres charismatischen Sängers Bono (zuerst noch Bon Vox, gebürtig aber eigentlich Paul David Hewson), der die literarisch oft tiefgreifenden Texte dieser Band (und manche Texte sind ein Mysterium für den Zuhörer) verfasst. U2 ist nicht irgendeine Band – U2 hat all die Menschen, die ihre Jugend in den 80er/90er ansiedeln geprägt.
Somit möchte ich gar nicht versuchen meine Rezension als „neutral“ darzustellen. Das kann sie nicht sein – dass vermögen meine Gedanken nicht. Um meiner Herangehensweise zumindest etwas den Versuch einer kritischen Distanz zu geben, kann ich höchstens die Fragestellung an mich selbst stellen: Wurden deine sehr hohen Erwartungen an dieses Buch ansatzweise erfüllt? Und hier muss ich ehrlich und unmissverständlich sagen: Ja!
Und genau das möchte ich hier erklären

Frauengeschichten – Kulturgeschichten aus Kunst und Musik | Anja Weinberg
Wo finden wir sie in der Geschichte? Die Frauen in der Musik, Kunst Kultur? Gab es sie? Oh, ja!
Anja Weinberger gibt uns in ihrem Buch viele Antworten dazu! Ein Buch, das durch viele Geschichten in Form von individuellen kurzen Biografien, ja, durch viele Darstellungen von Frauenleben in den Jahrhunderten eine klare Antwort gibt: Sie waren immer da! Wir müssen uns nur die Mühe machen, genauer hinzuschauen- die Mühe machen sie zu finden. Und es ist spannend dies gemeinsam mit der Autorin zu erforschen! Wir erleben Frauen, die um ihr Werk und Ansehen kämpften, aber auch zeitweise “schräge Typen” waren.

Mengele – Biographie eines Massenmörders | David G. Marwell
erschienen beim wbgTheiss Verlag Die Biographie eines Massenmörders lesen? Warum sollte man die Biographie über…

Gorbatschow – Der Weltveränderer | von Ignaz Lozo
wgbTheiss-Verlag (Rezensionsexemplar) (Rezension überarbeitet Juni 2022) Der Autor Ich mag es, wenn Menschen sich großen…