Als Frau war es in den vergangenen Gesellschaften noch schwerer als heute, seine Anliegen zu artikulieren, durchzusetzen und ein Leben so zu leben, wie sie es sich selbst vorstellte. Erst recht war die Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs absolut durch das Patriarchat geprägt. Selbst die geringsten Versuche die Gesellschaft mitzuprägen und mitzugestalten, unterlagen juristischen Hürden. So war ihnen der Zugang zu Bildung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schwer möglich oder gar verwehrt. Auch konnten Frauen z.B. keine Vereine gründen oder in deren Vorständen beteiligt sein. Wie überaus beeindruckend ist es dann, sich mit dem Leben der Lina Morgenstern auseinanderzusetzen, deren Biografie Gerhard J. Rekel nun veröffentlicht hat. Lina Morgenstern wirkt hier in ihrer Umgebung, wie aus der Zukunft dorthin versetzt. Sie ist selbstbewusst, kreativ, voller Tatendrang für ihre sozialen Anliegen – sei es für Kinder oder die ärmsten Teile der Bevölkerung. Rückblickend hat man das Gefühl, dass Lina Morgenstern sich nie entmutigen lies und man fragt sich, woher die junge jüdische Frau die Courage, die Energie und ihren Ideenreichtum hatte. Dieser umtriebigen Person hat Rekel nun ein mitnehmendes und sehr vitales literarisches Denkmal gesetzt. Lina Morgenstern wirkt – trotz der fast 200 Jahren von uns weg – sehr modern, und für ihre Zeit überaus emanzipiert.
Kategorie: Sachbuch

Vor dem Untergang – Hitlers Jahre in der Wolfsschanze | Felix Bohr
Die Flut an populärwissenschaftlichen Sachbüchern zum Thema NS-Diktatur reißt nicht ab. Ärgerlich, dass man doch als interessierter Geschichtsleser oft immer wieder die gleichen Themen aufgewärmt präsentiert bekommt. Aber wie schön und wie besonders ist es dann ein Buch zu lesen, in dem ein wichtiger Abschnitt der Geschichte der Nazi-Zeit durchleuchtet wird, der im Allgemeinen von vielen Autoren nicht besonders bedacht oder so nicht in den Fokus gesetzt wird. Felix Bohrs neustes Werk „Vor dem Untergang“ über Hitlers Jahre in der – von ihm so benannten „Wolfschanze“, ist solch ein besonderes Buch in unserem Lesejahr 2025. Ein Buch – einmal begonnen – das man nur schwerlich weglegen kann.
Eigentlich ist es schwer zu verstehen, dass es bisher viel Literatur zu den wenigen Monaten „des Untergangs“ im Führerbunker in Berlin oder Hitlers Leben mit seiner späteren Ehefrau Eva Braun auf dem Berghof gibt. Aber die lange Zeit in der Wolfschanze, die eigentlich den langsamen psychischen und physischen Verfall des immer mehr medikamentenabhängigen Diktators und auch den Abschnitt des Abstiegs hin zur Niederlage des 2. Weltkriegs zeigt, wurde aktuell bisher so noch nicht dargestellt. Wieso lebte der Diktator während seines initiierten Weltkriegs mitten im Wald? Fern ab seines Volkes? Wie war die Atmosphäre dort? Wer durfte mit ihm wie sprechen? Viele spannende Aspekte tun sich hier auf!

Die wahre Geschichte der Germanen | Karl Banghard
Was gibt es Neues in der Germanenforschung? Und: Gibt es da überhaupt Neues? Karl Banghard hat sich mit seinem Sachbuch „Die wahre Geschichte der Germanen“ eine große Aufgabe gestellt. Mögen wir nicht immer wissen, wie es war oder was war und auch nur oft auf Thesen aufgebaute Vorstellungen haben, so ist jedoch hier sehr klar, dass Banghard mit vielen Mythen, Märchen und Gerüchten rund um die Bewohner Mitteleuropas in der Antike, aufräumen will. Dazu zieht er – neben den bekannten Quellen um Cäsar und Tacitus – neuste archäologische Grabungsergebnisse vor, die zum Teil die schriftlichen Quellen (im Gegensatz zu vorherigen Interpretationen) bestätigen, zum Teil aber auch deutlich widerlegen. So startet er seinen (wie er es im Buch benennt) „Roadtrip“ durch Europa und fasst die aktuellen Ergebnisse zusammen. Ein interessanter „Rundumschlag“, durch ein fesselndes und nie endendes Thema.

Born to run | Bruce Springsteen
Ein amerikanischer Musiker zieht mit seinen großen Trucks und großer Crew um die Welt. Vor seinen Konzerten versucht er zu erklären, dass die aktuelle Lage in seinem Heimatland, nicht das Amerika ist, das er besingt – er distanziert sich vom Amerika des derzeitigen amerikanischen Präsidenten. Und wie reagiert dieser? Für seine Verhältnisse, bei diesem Rockmusiker plötzlich sehr zurückhaltend. Fast keine Beleidigungen, wie bei anderen Künstlern. Warum? Wer ist dieser Bruce Springsteen, bei dem sogar der ansonsten laut pöbelnde Donald Trump fast devot reagiert? Kleinlaut wirkt. Es erscheint, dass Springsteen die Seele Amerikas so sehr verkörpert, dass der derzeitige dunkle Geist etwas zurückschreckt.
Um sich dieser besonderen, eindrucksvollen Person zu nähern, ist meine klare Empfehlung, seine 2016 erschienene Autobiographie „Born to run“ zu lesen. Eine Musikerbiografie, die so viel mehr ist als die typischen imageaufpolierenden Werke, die man ansonsten in diesem Genre kennt. „Der Boss“, ist und bleibt der Boss, ohne den Boden zu verlieren. Das Werk ist eine Autobiographie und wirkt doch an so vielen Stellen in Sprache, Wirkung und Darstellung, wie ein Roman. Ein eindrucksvolles literarisches Werk, das uns den Menschen Bruce Springsteen, seine Sichtweisen und wie sie entstanden sind, von der ersten bis zur letzten Seite erklärt, ohne jemals wie eine Rechtfertigung zu klingen. Nie großspurig, ohne Legendenbildung – nur durch die pure Darstellung der Geschehnisse seines Lebens in den USA.

Konfliktzone Ostsee | Oliver Moody
Die Ostsee hat es geschafft, dass sie nunmehr fast täglich unsere Aufmerksamkeit erhält. Und dies nicht wie jahrzehntelang durch Begriffe wie Familienurlaub, Sonne, Sand und Meer. Nein, nun durch die geisterhafte, russische Schattenflotte oder geheimdienstorganisierte Anschläge auf Unterwasserkabel und Pipelines. All dies zeigt uns plötzlich die Verletzlichkeit unseres so festverankerten Glaubens an einen nicht endenden Frieden in Mitteleuropa. Die aktuellen Geschehnisse in der Ostsee sind (wie der Krieg in der Ukraine) deutliche Zeichen von dem, was als Zeitenwende in unsere Geschichtsbücher eingehen wird – egal ob positiv oder negativ behaftet. Es geht um einen deutschen Perspektivwandel auf die Welt, auf unsere unmittelbare Nachbarschaft, auf unsere derzeitige Situation. Für viele der anderen Anrainerstaaten hat sich die Perspektive bei weitem nicht so drastisch verändert, sondern nur verschärft, was eigentlich schon seit langer Zeit ihr Denken und Handeln prägte, ihre Gefahren und Ängste waren und sind. Sie beäugen Russland, sowie seine Enklave rund um Kaliningrad und versuchen mit viel Einsatz den russischen Einfluss, die gezielten Übergriffe auf ihre Länder abzuwehren. Die tägliche Bedrohung ist fassbare Realität dort. Aber was wissen wir von unseren neuen und alten Partnern im Osten und Norden?
Oliver Moody hat ein Buch geschrieben, das wie längst überfällig wirkt. Topaktuell lenkt es unsere Sicht auf einen Lebensraum, der unsere Aufmerksamkeit immer mehr benötigt, um die politischen Vorgänge und Gefahren jetzt und zukünftig immer besser verstehen zu können. Und genau dies schafft dieses beeindruckende Buch auf die beste Art eines Sachbuchs: Aufmerksamkeit und Verständnis zu fördern, indem es unsere Perspektiven für die Staaten des Ostseeraums schärft. Perspektiven, die wir zu oft vernachlässigt haben, obwohl wir unsere Partner dort dringend brauchen und von ihnen lernen können.

Zeit der Magier – Heinrich und Thomas Mann 1871 – 1955 | Hans Wisskirchen
Geschwister – ein kompliziertes Verhältnis zwischen Liebe und Konkurrenz. Vor allem, wenn beide Brüder, wie im Fall von Heinrich und Thomas Mann, sehr eigene Typen sind und der gleichen Profession nachgehen. Sie waren Künstler und Intellektuelle. Zwei ungleiche Magier und doch vom gleichen Stamm. Natürlich lagen sie mit ihren Einschätzungen und Sichtweisen auf die damalige Welt und möglichen Entwicklungen, auch mal falsch. Aber welcher politinteressierte Mensch tat das nicht in den Wirren des 20. Jahrhunderts?
Natürlich gibt es in der heutigen öffentlichen Wahrnehmung die deutliche Dominanz von Thomas Mann gegen Heinrich, aber das war während der Lebzeiten der beiden, vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nicht so. Das ist der Blick vieler in der Retrospektive. Trotzdem sind beide Schriftsteller nur im Kontrast zueinander, in ihrer großen Verschiedenheit und Auseinandersetzung miteinander vollständig zu verstehen.
Hans Wisskirchen präsentiert uns die neusten Erkenntnisse der vergleichenden Wissenschaft über die beiden so ungleichen Brüder. Durch neue Quellen und viele Querverweise gibt es uns die Chance, mehr über beide und die Wechselwirkung der beiden aufeinander zu verstehen. Ein tiefer Einblick, der nicht nur die nüchternen Fakten zeigt, sondern vor allem die besonderen Tiefen des sehr menschlichen Verhältnisses der beiden zueinander. Manchmal sehr komplex, manchmal auch fast banal.

Mystery mit Miss History
Die großen Rätsel der Weltgeschichte | Melina Hoischen Erschienen bei Knaur (Rezensionsexemplar, also Werbung) History…

Allahs mächtige Influencer | Stefan Kaltenbrunner und Clemens Neuhold
Social Media – Fluch und Segen unserer Zeit. Aber wie schon in unseren dunkelsten Vergangenheiten, wissen vor allem die Negativkräfte, was es bedeutet, wenn man es schafft, durch Medien in die privatesten Räume der Menschen vorzudringen. Hier sind wir ungeschützt, wenn wir uns nicht selbst schützen. Und wie sieht es mit Kindern und Jugendlichen aus? Wer schützt diese? Es ist für uns schockierend zu hören, dass TikTok, Instagram, WhatsApp, Telegram, etc. in Direktverbindungen in die Kinderzimmer unserer Zeit stehen. Ungefiltert erreichen Fake-News und radikale religiöse Ansichten die Minderjährigen. Diese sind so – völlig allein – diesen „Informationen“, Bildern und Emotionen und Manipulationen ausgesetzt. Da ist der Weg zur Radikalisierung von z.B. islamgläubigen Jugendlichen ein sehr einfacher. Wenn man im Problemviertel aufwächst, sich nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehörig fühlt, die Sprache des Landes nicht gut sprechen und verstehen kann, ja wenn das ganze Zuhause eher an ein Land erinnert, das Heimat sein soll, das man aber selbst nicht kennt, dann gibt dies einem sehr wenig Halt im Alltag – vor allem in der Jugend. Da können Menschen aus dem Internet, die einem einen so klar wirkenden, angeblich gut gemeinten Weg gegen all dies zeigen, schnell zu Verbündeten, zu angeblich verschworenen Freunden werden.
Stefan Kaltenbrunner und Clemens Neuhold haben ein Buch geschrieben, das uns wie ein deutlicher Weckruf in unserer Gesellschaft sein sollte. In Deutschland, Österreich und der Schweiz werden täglich systematisch Jugendliche rekrutiert, fanatisiert und zu terroristischen Gewalttaten aufgerufen. Endlich ein klarerer Blick auf ein zentrales Problem in unseren Gesellschaften und es gilt diesen Blick nicht wieder abzuwenden.

German Burnout | Dr. Thomas Bergner
Die Frustrationstoleranz der Deutschen erscheint am Limit. Aggression, Intoleranz, überzogene Reaktion prägen die politischen Debatten, aber auch alltägliche, zwischenmenschliche Situationen scheinen schnell zu eskalieren. Thomas Bergners Diagnose: „Das Land ist im Burnout.“ Dieses Gedankenexperiment scheint erst einmal gewagt und wenig wissenschaftlich, aber – und dies macht sein Buch „German Burnout“ deutlich – es hat seine klare Berechtigung. Es wird verständlich, wenn man es einmal zulässt, konsequent durchdenkt und durchgeht. Und es hilft so manche öffentliche Überreaktion, Empörung und vor allem den vielfach stattfindenden Zynismus verstehen zu wollen. Das Land der German Angst, German Scham und German Schuld erscheint mental am Boden oder zumindest in der mentalen Abwärtsspirale. Woher kommt dies? Was hat dies, besonders in Deutschland, gefördert. Die Lektüre von „German Burnout“ ist, wie manche Lektüre rund um den eigenen psychischen Zustand, nicht immer angenehmen, sondern oft auch fordernd. Denn es geht ja schließlich um uns und da gilt es in Reflexion zu gehen und auch Fehler zu erkennen, geliebte und gewohnte Denkmuster zu verlassen. Das könnte dann der Beginn sein, sein eigenes Mindset zu ändern. Eine fordernde, aber auch sehr tiefgreifende, lohnende Lektüre, die neue Perspektiven auf unser gesellschaftliches Miteinander mit sich bringt.

Die letzte Fahrt des Zaren – Als das alte Russland unterging | Jörg Baberowski
Es dauert lange, bis alte Systeme in sich zusammenbrechen oder revolutionär gestürzt werden. Eine Frage, die sich auch heute – aktuell – in einer Welt mit großen Umbrüchen immer wieder stellt. So ist der Blick nach Russland, zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur ein Blick in die Geschichte, sondern ein Blick in die mögliche Systematik von Politologie und Soziologie. Es geht ums Verstehen, um Zeichen des Zerfalls zu erkennen. Und hier ist es nicht nur eine revolutionäre Kraft, die das Zarenreich im Februar 1917 wegfegte. Nein, man hat viel mehr das Gefühl, dass es den alten Kräften daran fehlte, sich noch einmal aufbäumen zu können oder zu wollen. Jörg Baberowski hat mit seinem Werk „Die letzte Fahrt des Zaren“ ein sehr eindrucksvolles und fleißiges Buch geschaffen, dass uns die Möglichkeit gibt – zeitweise wie minutiös – den Fall der alten Zeit wieder zu erleben. Dazu hat er es geschickt, durch den dauernden Wechseln von Ort und Personen, komponiert. Mit Fassungslosigkeit schauen wir auf die fehlende Tatkraft, ja, vielleicht auch die Arroganz der herrschenden Schicht, den Wechsel, der sich zeigt, zu erkennen. Was brachte, nach über 500 Jahren der Herrschaft, das Ende der Romanovs?