Als Frau war es in den vergangenen Gesellschaften noch schwerer als heute, seine Anliegen zu artikulieren, durchzusetzen und ein Leben so zu leben, wie sie es sich selbst vorstellte. Erst recht war die Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs absolut durch das Patriarchat geprägt. Selbst die geringsten Versuche die Gesellschaft mitzuprägen und mitzugestalten, unterlagen juristischen Hürden. So war ihnen der Zugang zu Bildung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schwer möglich oder gar verwehrt. Auch konnten Frauen z.B. keine Vereine gründen oder in deren Vorständen beteiligt sein. Wie überaus beeindruckend ist es dann, sich mit dem Leben der Lina Morgenstern auseinanderzusetzen, deren Biografie Gerhard J. Rekel nun veröffentlicht hat. Lina Morgenstern wirkt hier in ihrer Umgebung, wie aus der Zukunft dorthin versetzt. Sie ist selbstbewusst, kreativ, voller Tatendrang für ihre sozialen Anliegen – sei es für Kinder oder die ärmsten Teile der Bevölkerung. Rückblickend hat man das Gefühl, dass Lina Morgenstern sich nie entmutigen lies und man fragt sich, woher die junge jüdische Frau die Courage, die Energie und ihren Ideenreichtum hatte. Dieser umtriebigen Person hat Rekel nun ein mitnehmendes und sehr vitales literarisches Denkmal gesetzt. Lina Morgenstern wirkt – trotz der fast 200 Jahren von uns weg – sehr modern, und für ihre Zeit überaus emanzipiert.
Autor: Textopfer

Der sixtinische Himmel | Leon Morell
Leon Morells umfangreiches Werk „Der sixtinische Himmel“ bietet uns, auf eine unterhaltsame und sehr faktenreiche Art, einen wunderbaren Zugang zum Leben und Werk des genialen Michelangelo Buonarroti. Es gibt uns die Möglichkeit das gewalttätige Italien im Einfluss mächtiger Familien, wie den Borgias Sforzas oder Medici, das Italien der Renaissance, besser zu verstehen und einen interessanten Zugang zu erhalten. Wir erleben auch die Diskrepanz zwischen den damaligen Nachfolgern Petri und ihrer sehr weltlichen Ausführung des Amtes als Papst. Julius II ist ein deutlich mehr gewalttätiger Herrscher über ein Land, als ein Priester. Er herrscht, ohne Widerspruch zuzulassen. Er ist ein Mäzen, der seine Künstler fürstlich belohnt, jedoch über sie verfügt, wie über Diener.
Morells Werk ist fabelhaft recherchiert und bietet uns darüber hinaus einen wunderbaren Zugang zum Rom jener Zeit. Der zeitgemäße Aufbau der Stadt, seine Straßen, Plätze, Kirchen zu Beginn des 16. Jahrhundert – alle dies lässt der Autor geschickt immer wieder in seine Geschichte einfließen. Das lässt das Herz der Fans für historische Romane höherschlagen.

We burn daylight | Bret Anthony Johnston
Mit seinem Roman „We burn daylight“ ist Bret Anthony Johnston einen sehr mutigen Weg gegangen. „Waco“ ist in den USA nach wie vor ein heikles und zutiefst umstrittenes Thema. Es ist eine offene Wunde, rund um eine extremistische, fanatische, christliche (extrem bewaffnete) Sekte um den damaligen charismatischen Davis Koresh und dem eskalierten und chaotischen Einsatz des FBI 1993. Von rechten Gruppen instrumentalisiert, führt dies später zum Bombenanschlag von Oklahoma, dem größten rechtsradikalen Anschlag in der Geschichte der USA.
Johnstons Roman ist ein gewagter, aber guter Weg mit solch einer Geschichte umzugehen. Romane brauchen keine absoluten Wahrheiten und Schuldigen. Sie können in Vielschichtigkeiten und Spannungsfeldern von Situationen, zwischen Personen und Sichtweisen fabelhaft existieren. Johnston lässt das Drama auf uns zukommen. Koresh heißt Perry Cullen. So orientiert er sich an der historischen Person, schafft es aber auch geschickt Abstand zu ihr aufzubauen. Ein tiefgreifender, sehr emotionaler Roman über die USA, über Glauben und Familie und über die Freiheit, wie sie doch so verschieden gedacht und gelebt werden kann. Was darf Freiheit? Wann darf und muss der Staat eingreifen. Ein Staat, der immer wieder die Freiheit des Individuums aufs Höchste predigt („the land of the free“/Star Spangled Banner).

Vor dem Untergang – Hitlers Jahre in der Wolfsschanze | Felix Bohr
Die Flut an populärwissenschaftlichen Sachbüchern zum Thema NS-Diktatur reißt nicht ab. Ärgerlich, dass man doch als interessierter Geschichtsleser oft immer wieder die gleichen Themen aufgewärmt präsentiert bekommt. Aber wie schön und wie besonders ist es dann ein Buch zu lesen, in dem ein wichtiger Abschnitt der Geschichte der Nazi-Zeit durchleuchtet wird, der im Allgemeinen von vielen Autoren nicht besonders bedacht oder so nicht in den Fokus gesetzt wird. Felix Bohrs neustes Werk „Vor dem Untergang“ über Hitlers Jahre in der – von ihm so benannten „Wolfschanze“, ist solch ein besonderes Buch in unserem Lesejahr 2025. Ein Buch – einmal begonnen – das man nur schwerlich weglegen kann.
Eigentlich ist es schwer zu verstehen, dass es bisher viel Literatur zu den wenigen Monaten „des Untergangs“ im Führerbunker in Berlin oder Hitlers Leben mit seiner späteren Ehefrau Eva Braun auf dem Berghof gibt. Aber die lange Zeit in der Wolfschanze, die eigentlich den langsamen psychischen und physischen Verfall des immer mehr medikamentenabhängigen Diktators und auch den Abschnitt des Abstiegs hin zur Niederlage des 2. Weltkriegs zeigt, wurde aktuell bisher so noch nicht dargestellt. Wieso lebte der Diktator während seines initiierten Weltkriegs mitten im Wald? Fern ab seines Volkes? Wie war die Atmosphäre dort? Wer durfte mit ihm wie sprechen? Viele spannende Aspekte tun sich hier auf!

Die wahre Geschichte der Germanen | Karl Banghard
Was gibt es Neues in der Germanenforschung? Und: Gibt es da überhaupt Neues? Karl Banghard hat sich mit seinem Sachbuch „Die wahre Geschichte der Germanen“ eine große Aufgabe gestellt. Mögen wir nicht immer wissen, wie es war oder was war und auch nur oft auf Thesen aufgebaute Vorstellungen haben, so ist jedoch hier sehr klar, dass Banghard mit vielen Mythen, Märchen und Gerüchten rund um die Bewohner Mitteleuropas in der Antike, aufräumen will. Dazu zieht er – neben den bekannten Quellen um Cäsar und Tacitus – neuste archäologische Grabungsergebnisse vor, die zum Teil die schriftlichen Quellen (im Gegensatz zu vorherigen Interpretationen) bestätigen, zum Teil aber auch deutlich widerlegen. So startet er seinen (wie er es im Buch benennt) „Roadtrip“ durch Europa und fasst die aktuellen Ergebnisse zusammen. Ein interessanter „Rundumschlag“, durch ein fesselndes und nie endendes Thema.

Born to run | Bruce Springsteen
Ein amerikanischer Musiker zieht mit seinen großen Trucks und großer Crew um die Welt. Vor seinen Konzerten versucht er zu erklären, dass die aktuelle Lage in seinem Heimatland, nicht das Amerika ist, das er besingt – er distanziert sich vom Amerika des derzeitigen amerikanischen Präsidenten. Und wie reagiert dieser? Für seine Verhältnisse, bei diesem Rockmusiker plötzlich sehr zurückhaltend. Fast keine Beleidigungen, wie bei anderen Künstlern. Warum? Wer ist dieser Bruce Springsteen, bei dem sogar der ansonsten laut pöbelnde Donald Trump fast devot reagiert? Kleinlaut wirkt. Es erscheint, dass Springsteen die Seele Amerikas so sehr verkörpert, dass der derzeitige dunkle Geist etwas zurückschreckt.
Um sich dieser besonderen, eindrucksvollen Person zu nähern, ist meine klare Empfehlung, seine 2016 erschienene Autobiographie „Born to run“ zu lesen. Eine Musikerbiografie, die so viel mehr ist als die typischen imageaufpolierenden Werke, die man ansonsten in diesem Genre kennt. „Der Boss“, ist und bleibt der Boss, ohne den Boden zu verlieren. Das Werk ist eine Autobiographie und wirkt doch an so vielen Stellen in Sprache, Wirkung und Darstellung, wie ein Roman. Ein eindrucksvolles literarisches Werk, das uns den Menschen Bruce Springsteen, seine Sichtweisen und wie sie entstanden sind, von der ersten bis zur letzten Seite erklärt, ohne jemals wie eine Rechtfertigung zu klingen. Nie großspurig, ohne Legendenbildung – nur durch die pure Darstellung der Geschehnisse seines Lebens in den USA.

Die Vögel, Wenn Gondeln Trauer tragen und andere Novellen | Daphne Du Maurier
Du Mauriers Kurzgeschichten stammen aus einer Zeit, die noch keine harte Einteilung der Autoren nach Thrillern, Fantasy, Historischer Roman, Science-Fiction, Dystopie kannte. Autoren waren auf fabelhafte Art nicht festgelegt. Es ging nur darum gute Geschichten zu erzählen. Und so sind auch Du Mauriers Geschichten genreübergreifend. Genau das macht sie so spannend, denn wir wissen nie, wo wir hingeleitet werden. Und: Wie wird alles enden?
Daphne Du Maurier (1907 – 1989) war wohl eine der einflussreichsten Autorinnen des letzten Jahrhunderts. Jedoch scheinen viele sie nicht zu kennen. Auch wird sie nur selten genannt, wenn genau die Frage danach gestellt wird. 1952 schrieb sie, die hier vorliegende Kurzgeschichte, „Die Vögel“, die 1963 von Alfred Hitchcock verfilmt wurde und somit Filmgeschichte schrieb. Überhaupt beeinflusste Du Maurier den Großmeister des Films mit ihren Werken. „Rebecca“ und „Jamaica Inn“ (als Film „Riffpiraten“ und auch schon hier bei Textopfer behandelt) wurden ebenfalls große Erfolge des Regisseurs. „Wenn Gondeln Trauer tragen“ wurde zwar nicht von Hitchcock, jedoch mit dem unvergesslichen und großartigen Donald Sutherland 1973 erfolgreich verfilmt. Eine düstere, fast mystische Stimmung durchzieht den Film, wie auch die Kurzgeschichte. Eine Geschichte um den Tod, um Verlust, um Leben.

John | Bernhard Aichner
In Bernhard Aichners Welt werden Personen vollkommen neu besetzt. Er verdreht unsere Welt. John und Yoko sind nicht die lieben, etwas naiven, pazifistischen Aktivisten. Nein, sie sind eine Person, morden auf makabre Art, um ihre Gerechtigkeit zu erhalten, um zu überleben. Und dabei überschreiten sie Grenzen oder besser gesagt: Sie kennen keine Grenzen. Bernhard Aichner ist sich mit seinem neuesten Werk, selbst treu geblieben, ohne langatmig, langweilig oder eintönig zu werden. Ganz im Gegenteil. Sein Werk „John“ ist schnell, treibt uns von Seite zu Seite. Und dabei hatten wir uns doch alle nach dem Vorgängerwerk „Yoko“ gefragt: Was gibt es noch zu erzählen?
Wer den kurzweiligen, schnellen Thriller, fürs allabendliche Abschalten sucht, wird mit „John“ das richtige Buch finden. Man sollte, muss aber nicht „Yoko“ gelesen haben, um in diese rasante Fahrt einzusteigen. Man sollte sich in Aichners Welt aber darauf einstellen, dass viele Menschen „verschwinden“.

Reset – Die Wahrheit stirbt zuerst | Peter Grandl
Peter Grandls beeindruckendes Werk „Reset” hebt sich schon mit den ersten Zeilen deutlich vom großen Markt der Krimis, Kriminalromane, etc. die sich in Deutschland Thriller nennen, ab. Schon von Beginn an macht der Autor uns Lesern deutlich, dass es hier um weitaus mehr als schnöde Unterhaltung geht. Peter Grandl will unterhalten, ja, aber er hat mehr als nur eine durch und durch spannende Geschichte zu erzählen. „Reset“ verdeutlicht, wie – vielleicht in einem der ungünstigsten Fälle – unsere postmoderne digitale Welt sich urplötzlich dramatisch wandeln könnte. Unser fast religiöser Glaube an die immerwährende Verlässlichkeit von Technik hat uns in tägliche Abhängigkeiten gebracht, die beim Zusammenbruch, Millionen von Leben gefährden und kosten würden. Und wir verlassen uns dabei gleichzeitig oft allein auf unsere menschlichen Wahrnehmungen, unsere doch so leicht zu täuschenden Sinne.
Wenn die Welt keine verlässlichen Fakten mehr kennt, wenn z.B. Gesehenes nicht mehr verlässlich ist, dann stürzt die Welt ins Chaos. Denn wie können wir Fakten und Fiktion unterscheiden, wenn diese mit Logik nicht mehr zu unterscheiden sind? Was ist verlässlich? Da macht sich Angst und Panik breit.
Grandls Vision ist düster. Sie ist gut durchdacht, sehr gut recherchiert und daher so besonders bedrückend.

Das Spiel ist aus | Jean-Paul- Sartre
Es gibt Literatur, die einfach zeitlos ist, weil sie zeitlos schreibt und deren Themen die Menschen immer ansprechen werden – auch sie sind zeitlos.
Sartres Geschichte „Das Spiel ist aus“ aus dem Jahre 1943, ist solch ein Buch. Und vor allem ist es eines seiner Werke, bei dem ich mir sicher bin, dass es für jeden (auf irgendeiner Ebene) zugänglich ist.
Sartre reißt viele Themen an. Schon zu Beginn sterben seine sehr unterschiedlichen Protagonisten. Aber dieser Tod kennt keine Ängste oder Schmerzen. Der Tod ist profan und unspektakulär. Er hat mehr etwas Verwaltungstechnisches, nichts Religiöses – außer vielleicht, dass es ein Leben danach gibt. Aber klar ist: Bei ihm gibt es kein großes Mysterium rund um den Tod. Zu sterben hat etwas zutiefst Sachliches.
Aber „Das Spiel ist aus“ ist auch eine Geschichte der Klassenunterschiede und der Frage, ob es – selbst bei größter Zuneigung und Liebe – die Möglichkeit überhaupt gibt, dass man diese überwindet. Werden Sie immer die Welt der Menschen teilen?
Aber auch Verrat ist Thema. Oft sind es die, die uns verraten, die uns am nächsten stehen.
Der große Philosoph hat sehr viel in dieses kleine Werk gesteckt, so wie auch Faschismus, einhergehend mit dystopischen Elementen. Ein Werk, das als Drehbuch gedacht war und somit in reiner Buchform eher an eine Novelle oder kurze Erzählung erinnert.