Nazi-Führer schauen dich an – 33 Biographien aus dem Dritten Reich Textopfer, September 10, 2023September 10, 2023 Walter Mehrin Rezensionsexemplar Erschienen im wbg Theiss-Verlag Achtung Quelle! Wenn wir historische Quellen lesen, sind wir immer besonders gefordert! Es gilt in die Zeit einzutauchen! 1933 erschien das schreckliche antisemitische Werk „Juden sehen dich an” von Johann von Leers. Fern ab, im Pariser Exil, wollte 1934 ein mutiger Mann diesem Buch voller Hass, Lüge und Intoleranz etwas entgegensetzen. Walter Mehring war Jude und – neben Kurt Tucholsky- einer der bekanntesten Schriftsteller, Lyriker und Satiriker der Weimarer Republik. Mit spitzer, ironischer Zunge und entlarvend schrieb er. Und uns wird bei jeder Zeile heute noch klar, wie tief den Nazigrößen seine verbalen Pfeile der Satire geschmerzt haben müssen. Dieses Werk ist eine eindrucksvolle, besondere Quelle, da es so deutlich zeigt, dass viele, viele dunkle Seiten der Nazi-Größen 1934 bekannt waren und somit ihre tief psychopathischen Züge und Verlogenheiten offensichtlich waren. Dies alles ist „verpackt“ in einer unterhaltsamen Ironie eines Sprachkünstlers. Die jetzige erneute Veröffentlichung des historischen Textes, richtet sich an den geschichtskundigen Leser, der direkt in die Zeit des NS-Staats einfahren möchte. Ein wunderbares Buch für Menschen, die glauben schon alles – oder zumindest viel – über die NS-Diktatur gelesen zu haben! Im „Olymp“ der Nazis Dazu teilt Mehring die führenden Nazis Deutschlands in die Gruppierungen der neuen Götter, Halbgötter, Provinzgötter etc. ein. Dieser kleine Griff in die Satirekiste macht deutlich, wie irreal überzogen sich die neuen Machthaber selbst gerne darstellten. Neben den Nazi-Größen stellt er aber auch einige Steigbügelhalter, wie Hindenburg, van Papen, Kurt Schmitt und andere vor, um deren fatale Rolle und Verantwortung beim Aufstieg Hitlers darzustellen. Bewunderungswürdig ist, dass er dies schon ein Jahr nach der „Machtergreifung“ fabelhaft interpretiert. Guter Beobachter Mehring ist ein guter Beobachter und Faktensammler. Deutlich wird schon bei der dargestellten Person Hitlers, wie sehr die Diskrepanz zwischen angeblichem ideologischem Heldenepos und der Wirklichkeit seiner Biografie ist. Es wird vollkommen offensichtlich, dass den Menschen das Scheitern des selbsterklärten Künstlers und seine Zeit als Obdachloser im Allgemeinen bekannt waren. Kopfschüttelnd fragt sich da der Leser, wie konnte es sein, dass die deutsche Bevölkerung diesen Versager im Zivilleben zu einem Helden durch die Propaganda hochstilisieren ließ, wenn doch seine Vorgeschichte allgemein bekannt war? Und sehr deutlich stellt er 1934(!) schon die klare Kriegsgefahr und Kriegsabsicht dar, die in Hitlers geäußerten Forderungen liegt.Mehring umreißt pointiert, mit bitterem satirischem Ton so manche Nazi-Größe: Röhm den gewissenlosen, brutalen Schläger. Göring, der wie ein schrulliger Antiquitätenhändler wirkt (und ja später ganz Europa bestehlen wird), dessen “Ritterburg” nur wie “teurer Kulissenzauber” wirkt. Mehring nimmt den Nazigrößen viel von ihrem so mächtig wirkenden Auftreten und zeigt sie als die Kleingeister, die sie waren. Geschichte Sachbuch deutsche GeschichteGeschichtewbgTheiss-Verlag