Todeswalzer – Der Sommer 1944 | Christian Bommarius Textopfer, Februar 25, 2024Februar 25, 2024 Erschienen im dtv-Verlag (Rezensionsexemplar) Zum Grande Finale des Wahnsinns Eigentlich ist der Krieg im Sommer 1944 schon verloren. Nach dem D-Day, dem Putschversuch der couragierten Soldaten um Staufenberg herum, kommen nun die Alliierten von Osten, Süden und Westen aufs Reichsgebiet zu. Aber der „große Diktator“ ignoriert dies, versteht dies wahrlich nicht. Es ist der Auftakt zum Kriegsjahr mit den meisten Toten im 2. Weltkrieg – das Grande Finale eines Wahnsinns. Und so geht das Sterben auf den Schlachtfeldern, den Städten oder Konzentrationslagern in immer höheren und schnelleren Frequenzen weiter. Es wird in seinen Opferzahlen die fast fünf vorherigen Kriegsjahre auf schreckliche, barbarische Art übertreffen. Und diese große Weltgeschichte ist mit so unzählig vielen Menschen verbunden, von denen einige hier in den Mittelpunkt gestellt werden. Ob Freund, ob Feind – keiner kann sich dem im Sommer 1944 entziehen. Christian Bommarius erzählt pointiert in Schlaglichtern und lässt uns teilhaben an einzelnen Schicksalen und verheerenden Konsequenzen für ganze Bevölkerungsgruppen. Ein Buch, das dem Krieg Gesichter gibt und viele Aspekte erzählt, die bei anderen Darstellungen des zweiten großen Kriegs oft „unter den Tisch“ fallen. Spannend, informativ und mit sehr viel Menschlichkeit. Einzelne Schicksale bilden ein Bild Margot Friedländer, Sartre und Simone de Beauvoir, Anne Frank, Viktor Klemperer, Stephane Hessel, Antoine de Saint- Exupéry und viele andere begegnen uns. Berichte aus Trent Park, einem Gefangenenlager der Briten für Offiziere der deutschen Wehrmacht, in denen diese systematische abgehört werden. Bommarius führt uns an viele Orte des Sommers 1944 – kreuz und quer durch Europa. Es wird deutlich, dass der Krieg in alle Leben intensiv hineinspielt – es geht ums Überleben und oft die Schrecklichkeit, dass die Täter im Angesicht des Untergangs noch schrecklicher wüten. Es soll keine Überlebenden – keine Zeugen geben. Man weiß um seine mörderischen Taten – alle Ideologie kann nicht so stark blenden, dass die Täter ihre Abscheulichkeit nicht erkennen.1944 ist endgültig das Tor zum dramatischen Ende. Allein an der Ostfront haben die Deutschen 1,85 Millionen Soldaten verloren. Und der Terror und Schrecken, den man in kriegerischer Form in andere Länder brachte, wird nun bald postwendend nach Deutschland kommen. Das Buch Todeswalzer ist ein Potpourri von Zwischenstopps durch das zerstörte, verstörte Europa des 2. Weltkriegs. Wie Schlaglichter werden uns Situationen der Menschen jener Zeit vorgestellt. Und darum geht es hier: Um die Menschen in dieser unmenschlichen Zeit. Neben den genannten „Einzelschlaglichtern“ präsentiert Bommarius auch längere, erklärende Teile, um Konsequenzen für ganze Menschengruppen, wie den verhafteten und internierten Opfern der Konzentrationslager oder den Soldaten im Krieg darzustellen. Durch die permanente Brechung dieser Formen erhalten wir ein Gefühl, das ein Jahr im Chaos liegt. Wir werden Zeugen des Untergangs. Bommarius bezeichnet dies passend als „Todeswalzer“! Lebende Tote, fast Tote, dem Tod geweihte – der Sommer 1944 zeigt im Sonnenlicht die teuflisch, barbarische Seite der Menschen- den grausamen menschlichen Abgrund. Der Autor schafft es, uns in diese unangenehme Umgebung zu verpflanzen und zitiert eine Musikerin des Mädchenorchesters in Auschwitz mit den Worten: „Wir sitzen im Kochtopf des Teufels.“ Ein intelligentes Buch, das die feinen Nuancen und viele Geschichten des letzten Kriegsjahres 1944 erzählt – sehr eindrucksvoll und gelungen! Geschichte deutsche Geschichtedtv VerlagGeschichte