Erschienen bei Kremayr & Scheriau
(Rezensionsexemplar, also Werbung)
Als Rebellin im Deutschen Kaiserreich
Als Frau war es in den vergangenen Gesellschaften noch schwerer als heute, seine Anliegen zu artikulieren, durchzusetzen und ein Leben so zu leben, wie sie es sich selbst vorstellte. Erst recht war die Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs absolut durch das Patriarchat geprägt. Selbst die geringsten Versuche die Gesellschaft mitzuprägen und mitzugestalten, unterlagen juristischen Hürden. So war ihnen der Zugang zu Bildung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schwer möglich oder gar verwehrt. Auch konnten Frauen z.B. keine Vereine gründen oder in deren Vorständen beteiligt sein. Wie überaus beeindruckend ist es dann, sich mit dem Leben der Lina Morgenstern auseinanderzusetzen, deren Biografie Gerhard J. Rekel nun veröffentlicht hat. Lina Morgenstern wirkt hier in ihrer Umgebung, wie aus der Zukunft dorthin versetzt. Sie ist selbstbewusst, kreativ, voller Tatendrang für ihre sozialen Anliegen – sei es für Kinder oder die ärmsten Teile der Bevölkerung. Rückblickend hat man das Gefühl, dass Lina Morgenstern sich nie entmutigen lies und man fragt sich, woher die junge jüdische Frau die Courage, die Energie und ihren Ideenreichtum hatte. Dieser umtriebigen Person hat Rekel nun ein mitnehmendes und sehr vitales literarisches Denkmal gesetzt. Lina Morgenstern wirkt – trotz der fast 200 Jahren von uns weg – sehr modern, und für ihre Zeit überaus emanzipiert.
Eine Frau, die mehr Menschen kennen sollten
Es ist fast unverständlich, dass Lina Morgensterns Wirken auch über die Landesgrenzen Preußens und später des Deutschen Reichs wirkte, sie aber als historische Person in unserer heutigen Gesellschaft einen so geringen Bekanntheitsgrad besitzt. Somit hilft hoffentlich Rekels Werk, dem Schaffen Lina Morgensterns weitaus mehr Aufmerksamkeit zu geben. Vielfältig war ihr Tun und das ab einem Alter von 18 Jahren. Einem Alter, in dem man in ihrer Zeit mehr erwartet hätte, dass sie sich dem Heiratsmarkt widmet und nicht auf ihrem Geburtstag einen Verein zur Unterstützung armer Schulkinder gründete. Es folgten so viele soziale Aktivitäten, dass dies bis heute beeindruckend ist und bleibt. Im Bereich der Kindergärten, für Frauen und deren Rechte und Möglichkeiten, für Arbeiterinnen und deren Bildung, für Kriegsverwundete, für Krankenversicherungen, Armenküchen, Prämienkasse für Dienstboten und vieles mehr. Lina Morgenstern setzte ihr Leben als jüdische Frau in Berlin, trotz Rückschläge in ihrem Privatleben, vollkommen für die benachteiligten Teile der Gesellschaft im kaiserlichen Deutschland ein.
Rekels Begeisterung für das Schaffen Morgensterns ist deutlich in seinen Zeilen zu lesen, so dass seine verfasste Biografie zeitweise an eine Erzählung oder einen Roman erinnert. Wir kommen Morgenstern nahe, lernen sie kennen und zu verstehen. Unterstützt durch eine scheinbar gute Quellenlage, hören wir von Linas Schwierigkeiten und den gesellschaftlichen Steinen, die in ihrem Weg lagen, aber auch von kleinen Anekdoten des Tages.
Eine Frau mit Charisma
Rekels Biografie der Lina Morgenstern, die er passend als „Die Geschichte einer Rebellin“ bezeichnet hat, lässt die Kraft und den Willen dieser historischen Persönlichkeit deutlich erkennen. Eine Frau mit Charisma. Linas Morgenstern ist ein gutes Bespiel dafür, dass moderne Geschichtsschreibung bezüglich Frauen in der Geschichte, noch viel aufzuholen hat. Es gilt zu zeigen, dass viele Frauen sich nicht nur mit dem klassischen Frauenbild in den Familien zufriedengegeben haben, sondern dass sie ihren Weg gesucht und gefunden haben, um so ihre Vorstellungen (zu großen Teilen) auch leben zu können.