Erschienen bei Kiepenheuer und Witsch
(Rezensionsexemplar, also Werbung)
Wir schauen zu
Nie sind wir wohl so ganz wir selbst, als wenn wir in Ferien sind – weit weg vom Alltagsrahmen, von den Zwängen und Notwendigkeiten des Arbeitslebens. Obwohl fraglich ist, ob ausgerechnet Thomas Mann irgendwann einmal wirklich weg war vom täglichen Arbeiten. Das Schreiben war scheinbar, wie fest, in jeden seiner Tage installiert.
Kerstin Holzer hat uns ein kleines, eindrucksvolles Werk (von ca. 200 Seiten) über die Ferien der Familien Thomas Mann 1918 am Tegernsee geschenkt, das die Fähigkeit besitzt, die Familie, rund um den Literaturnobelpreisträger und ihn selbst, sehr persönlich kennenzulernen. Das biografische Buch hat viele Züge, die es vielleicht eher an manchen Stellen zu einem Roman werden lassen und genau diese Mischform dort, lässt uns die Situationen realistischer und auch klarer, etwas miterleben. Wir fühlen uns als Teil des Ganzen. Schauen zu, beobachten. Das ist schön, bringt uns selbst den Sommer und auch eine Unbeschwertheit, die aber natürlich im vierten Kriegsjahr deutlich in den Menschen getrübt ist. Die mögliche Sinnhaftigkeit des „Großen Kriegs“ ist auch beim einstigen Befürworter Thomas Mann, mittlerweile durch die ernüchternde Kühle des täglichen Leids in der Bevölkerung, verlustig gegangen.
Von Herr und Hund
Hundeliebe vereint die Menschen. Und ein Hund in einer Familie darf nicht unterschätzt werden, ist er doch für die meisten ein vollwertiges Familienmitglied. Wir kennen die Manns, ja, wir kennen die ganze Familie. Aber kennen wir Bauschan? Die einst real existierende „Hauptperson“ in Thomas Manns – für viele unbekannten Werk – „Herr und Hund“?
Bauschan spielt auch in diesem Sommer eine sehr wichtige Rolle. Bauschan ist ein Zeichen für Manns sehr weiche und zutiefst gefühlvolle Seite. Sein Blick auf ihn ist mit Ironie gespickt. Wer hätte dem großen Literaten eine solche Hundeliebe zugetraut. Darüber hinaus wird im Buch deutlich, wie viel an Zeit er mit ihm gemeinsam verlebt. Es wirkt zumindest zeitlich, nach weitaus mehr Miteinander als mit seinen Kindern.
Das Miteinander mit den Kindern ist eher mit Laissez-faire zu beschreiben. Denn laut Thomas Mann ist Erziehung Atmosphäre – mehr nicht.
Wir erfahren sehr viel Privates – kommen den einzelnen Mitgliedern der Familie Mann näher. Wie z.B. Katia, in ihren Folklorekleidern oder erfahren, dass sie während des Urlaubs zweimal in der Woche mit dem Fahrrad zum Einkaufen nach Gmund fährt. Es sind diese kleinen, wunderbaren Details des Alltags, die das Buch uns allen verrät.
Mit Verantwortung und Respekt
Holzer gibt uns einen Blick auf die Umstände, in denen die fünfköpfige Familie Mann zu diesem Zeitpunkt lebt – das reicht von der Möglichkeit eines Feriendomizils bis zum Hunger des letzten Kriegsjahrs. Und die Sicht auf diesen Krieg zerreißt die Familie. Die Brüder Heinrich und Thomas sind längst zerstritten. Thomas hat die Euphorie der jungen Generation zu Beginn des Krieges mitgetragen, den Krieg und das Kaiserreich bejubelt. Der pazifistische Heinrich hat den Krieg abgelehnt. Aber die Differenzen gehen weiter, bestehen nun auch zwischen Thomas Mann und seiner stets loyale Frau Katia.
Das Werk präsentiert sich als sehr gut recherchiert. Man hat immer das Gefühl, dass Holzer sich der Verantwortung eines solch privaten, fast intimen Blick in die Familie, sehr bewusst ist. Das zollt von Respekt und hat nie etwas von Voyeurismus.
All das hat den Anspruch, uns umfassend zu informieren und ist oft herrlich anekdotenhaft, was uns hilft, Familie Mann weitaus besser kennenzulernen.