Der Abstinent | Ian McGuire Textopfer, Mai 28, 2023Mai 28, 2023 erschienen bei dtv (Rezensionsexemplar) Ein besonderer Schauplatz Ich mag gut recherchierte historische Romane, die mal nicht an den typischen Orten (London, Rom, Paris) und mit den typischen, historischen Personen (berühmten Könige, überhaupt Blaublütern aller Zeiten, berühmten Politiker, etc.) spielen. Somit ist „Der Abstinent“ eine wunderbare, willkommene Abwechslung im Genre! Schauplatz hier ist eine der englischen Metropolen der Industriellen Revolution: Manchester in den 1860er Jahren. Eine schmutzige, laute, quirlige Stadt der Arbeiter und mittendrin der immer wieder aufkeimende Konflikt zwischen England und den Iren, die hier eine Art Enklave haben. Solch ein Ort in solcher Zeit ist Schmelztiegel der politischen Probleme, ist Schmelztiegel zischen „Oben“ und „Unten“, zwischen Bevölkerung und Staatsvertretern, zwischen den Nationalitäten. Wenn dann noch eine Winzigkeit geschieht, können schnell die sozialen Probleme alles zum Explodieren bringen. Somit sind hier Ort und Zeit eine geniale Wahl! „Manchester Märtyrer“ Drei Fenians, irische Rebellen, Freiheitskämpfer werden von den Engländern gehängt. Es sind die, in die Geschichte als „Manchester Märtyrer“ eingegangenen Männer. Das öffentliche Schauspiel soll ein Zeichen der unnachgiebigen englischen Härte gegen solche Bestrebungen sein. Constable O’Connor, selbst Ire, arbeitet für die englische Polizei. Er wurde aus Dublin hierher versetzt. Somit lebt er zwischen den Welten – bekommt weder von der einen noch von der andren Seite Anerkennung. Darüber hinaus hat er ein Problem: Er ist trockener Alkoholiker, mit einer fast traumatischen Geschichte im Gepäck. Und dann kommt Doyle aus Amerika. Ein Ire mit Erfahrungen im amerikanischen Bürgerkrieg, ein geübter Soldat. Die Fenians haben in gerufen. Er kommt mit dem Schiff aus Amerika. Aber auf dem Schiff ist noch eine Person, die wichtig werden wird. Eine gut eingefädelte Geschichte nimmt ihren spannenden Lauf Die individuelle Note Ian McGuire präsentiert uns eine gute Geschichte, die einem das Gefühl gibt, dass man immer weiter am Ball bleiben muss. Die Personen wirken realistisch. Sie stehen – jeder für sich – wie für einen Aspekt des langen Konflikts zwischen England und Irland. Darüber hinaus wird die Situation der verzweifelten Arbeiter, im so glorreich wirkenden viktorianischen England, sehr erleb- und erfahrbar. Hier sehen wir die Kehrseite des großen Empire. Dieses Buch ist so viel mehr als ein Krimi im historischen Gewand. Es macht Geschichte plastisch. Darüber hinaus ist der Ablauf der Geschichte bei weitem nicht zu erahnen. Mit viel Autorenmut bekommt das Buch im letzten Drittel eine Wendung, mit der man zuvor als Leser wohl nicht gerechnet hat. Dies gibt dem ganzen eine sehr individuelle Note. Roman dtv VerlagIrland