Schatten der Welt | Andreas Izquierdo Textopfer, Dezember 3, 2023Dezember 3, 2023 Erschienen bei Dumont (Rezensionsexemplar) Eintauchen Ja, jedes Mal, wenn ich zum ersten Mal einen Autor, der einen historischen Roman verfasst hat, lese, stelle ich mir die Frage: „Wie viele Seiten des Buches werde ich wohl lesen?“ Denn ich gehöre zu den Menschen, die ein Buch sofort abbrechen, wenn es allzu merklich zu Anachronismen oder historischen Oberflächlichkeiten kommt. Ich sage es direkt: Ich habe jede, der über 530 Seiten von „Schatten der Welt“ genossen – ich kam nicht in die Nähe das Buch schon zuvor zur Seite zu legen. Andreas Izquierdo schickt uns auf eine allumfassende, gut recherchierte Zeitreise und er besitzt die wunderbare Fähigkeit des schönen Erzählens, ohne überflüssige Schnörkeleinen. Dieses Erzählen ist einfühlsam und seine Figuren sind lebendig und mehrdimensional. So bringt er uns in das frühe 20. Jahrhundert, ins deutsche Kaiserreich, mit seinem starren gesellschaftlichen Obrigkeitssystem und wir lesen diese Geschichte mit dem Gefühl um das bedrückende Wissen, welche Schrecklichkeiten das junge Jahrhundert für seine Hauptperson noch bereithalten wird. Das mulmige Gefühl der Kindheit Wir sind im Jahre 1910, in Westpreußen und lernen die Kindheit im Deutschen Reich kennen, dass sich, seine Bevölkerung und ganz Europa in den nächsten vier Jahren dazu bringen wird, dass in Europa die Lichter ausgehen werden. Wir lernen Carl kennen, der in seiner sanften Art anders ist als seine baldigen Freunde Arthur und Isi. Und wer etwas rechnen kann, weiß von Beginn an: Carl ist ein Vertreter der „Verlorenen Generation“, von denen die meisten nicht aus dem 1.Weltkrieg zurückkehren werden. Und wenn er zurückkehren wird, wird ihm immer mehr der politische Extremismus von rechts entgegenschlagen, denn er ist Jude. Carl beschreibt uns, wie er rückblickend auf diese Welt und seine Erfahrungen darin sieht. Das wirkt authentisch, vor allem zu Beginn aus Sicht eines Kindes, das diese Welt nur annehmen, jedoch nicht gestalten kann. Auch hier muss ich deutlich herausstellen, dass Andreas Izquierdo mich von dieser Welt überzeugen konnte. Es entsteht im Leser das Empfinden, dass jemand hier in Tradition eines Herman Hesse oder Heinrich Böll schreibt, denn die Atmosphäre dieser erzählten Geschichte einer längst vergangenen Kindheit erinnert an “Demian” oder “Haus ohne Hüter”. Es hat etwas von Wehmut – ein wunderschönes Absinken in die Vergangenheit für lange, dunkle Winterabende. Mein Weg ist klar! Intelligent konstruiert, beginnt das Buch mehr im Stile von Anekdoten und Kurzgeschichten, die ineinandergreifen. Es entwickelt sich dann aber geschickt (auch räumlich) zu einer auseinanderdriftenden „großen“ Geschichte. Spätestens dann hat der Autor den Leser soweit ins Buch gezogen, dass ein Entrinnen nicht mehr möglich ist. Zu sehr wollen wir um die Wendungen im Leben von Carl, Arthur und Isi wissen. Und so kommen die persönlichen und die historischen Geschehnisse auf sie zu, und wir durchleben und durchleiden diese mit ihnen. Und wir bangen, denn sie sind nicht nur untereinander Freunde geworden, sondern auch irgendwie unsere. „Schatten der Welt” ist der erste Teil der bisherigen Trilogie „Wege der Zeit“, dessen dritter Teil im letzten Jahr erschienen ist. Es gibt wohl keinen Weg für mich an Band 2 und Band 3 vorbei! Historische Romane DumontHistorischer Roman