Der hundertjährige Krieg um Palästina | Rashid Khalidi Textopfer, Dezember 15, 2024Dezember 15, 2024 Eine Geschichte von Siedlungskolonialismus und Widerstand erschienen im Unionsverlag (Rezensionsexemplar, daher Werbung) Kein Frieden im Heiligen Land Wir hören viel vom Krieg im Nahen Osten. Wir glauben viel zu wissen vom Krieg im Nahen Osten. Aber alleine schon die Nennung des Konflikts zwischen der arabischen Bevölkerung und jüdischen Bevölkerung in dem Land, das offiziell Israel heißt und von vielen Palästina genannt wird, heißt im Konflikt zu sein – eine wertneutrale Sicht, der über 100 jährigen Auseinandersetzung scheint nicht möglich. Große Gefühle von Hass, Wut, Rache – sensible und sentimentale Gefühle von Religion und des Unverständnisses geben wenig Chancen für eine wirkliche Geschichtsschreibung. Und doch tun wir jedes Mal so, als ob die kriegerischen Auseinandersetzungen im heutigen Israel etwas vollkommen Neues wären und als ob die Lage so klar wäre. Je nach Sicht ist die eine oder die andere Seite Haupttäter eines sich ständig neu erfindenden Krieges. Aber wer einen Augenblick länger hinschaut, wird verwirrt sein, wird die lange Kette des Krieges als einen großen – fast hundertjährigen Krieg – erkennen. Rashid Khalidi ist amerikanischer Historiker mit palästinensischen Wurzeln. Seine Familie gehört schon lange zum Bildungsbürgertum und sein Großvater gründete die weltweit bekannte Khalidi-Bibliothek in Jerusalem – bekannt für ihre große Sammlung arabischer Manuskripte. Dort startete er auch sein umfangreiches Buchprojekt. Khalidi, macht seine deutlich palästinensisch geprägte Sicht dieses scheinbar nicht endenden Krieges deutlich, indem er von einer Geschichte von Siedlerkolonialismus und Widerstand spricht. Sein Fachwissen ist beeindruckend, seine Analysen trotzdem vielschichtig. Im März 2024 aktualisierte er sein Werk (in einem Nachwort) aufgrund des Angriffs der Hamas auf Israel und den massiven militärischen Reaktionen Israels. Auch die eigene Geschichte Khalidi sieht die lange Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Juden und Palästinensern im Gebiet des heutigen Israel als (fortgesetzten) Kolonialkrieg. Er betont, dass das Buch wissenschaftlich fundiert ist, aber auch natürlich auch durch eine persönliche Dimension geprägt. Immer wieder kommt Khalidi auf die sehr persönliche Geschichte seiner politischen Familie zu sprechen (z.B. auf seinen Großvater oder seinen Vater, da diese zeitweise zu den handelnden Personen auf palästinensischer Seite gehörten) und zeigt somit das große Bestreben nach Selbstbestimmung der Palästinenser, aber auch gleichzeitig, welche Konsequenzen die international getroffenen Absprachen über das Staatsgebiet Israels ganz konsequent für die nicht-jüdische Bevölkerung hatten. Er schildert seine Sicht auf ein Volk, dessen Rechte ignoriert wurde und dessen Führungen sich so oft nicht auf ein gemeinsames Ziel einigen konnten – ganz im Gegenteil zu den jüdischen Siedlern. Das palästinensische Trauma Diese Uneinigkeit zwischen den Palästinensern nennt er klar mit als Faktor für die Schwächung zur Durchsetzung ihrer Anliegen. Es gelang ihnen z.B. nicht vor Gründung des Staats Israels selbst staatliche Strukturen aufzubauen. Als einschneidendes, traumatisches Erlebnis der Palästinenser bis heute, sieht er die Nakba, die Vertreibung der Palästinenser aus ihren jahrhundertelang tradierten Wohngebieten, Dörfern und Städten im Mandatsgebiert Palästina zwischen 1947 bis 49. Hier wurde ihre traditionelle Kultur und Gesellschaft zerstörtAuch die oft fehlende Solidarität der „Brudervölker“, deren Handeln zumeist ihre eigenen Ziele im Fokus hatten, schwächte sie in ihrem Tun. Kein Buch, das man zum Ende ruhig aus der Hand legt Khalidis Buch ist ein Buch, an dem man sich reiben kann (z.B. seine Sicht auf den Sechstage Krieg), was es aber dadurch nicht schlechter macht. Es hilft Perspektiven zu verstehen, denn es ist sehr gut recherchiert, faktenreich. Es sagt sehr offen, wofür es steht, spart nicht mit Selbstkritik. Das Werk ist aber auch klarer Vorwurf an die internationale Gemeinschaft und an die jüdische Bevölkerung Israels. All dies erscheint im Lichte der jüngsten Ereignisse in Israel oft schwer verdaulich – fordert uns und macht es daher lesenswert zur Bildung eines eigenen Standpunkts. Denn man kann den Konflikt nicht verstehen oder bewerten, wenn man die beidseitige Geschichte außer Acht lässt. Es ist kein Buch, das man zum Ende einfach ruhig aus der Hand legt. Geschichte Politik Sachbuch GeschichteIsraelPalästinaPolitikUnionsverlag