Deals mit Diktatoren | Frank Bösch Textopfer, März 17, 2024März 17, 2024 Erschienen bei C.H. Beck (Rezensionsexemplar) Willkommen in Deutschland, Herr Diktator! „Der Blick auf den Umgang mit Diktatoren eröffnet eine andere Geschichte der bundesdeutschen Demokratie…”, denn wie einfach ist es, sich selbst alle guten Werte zuzuschreiben und autokratische Staaten zu verurteilen. Aber man lebt nicht losgelöst von ihnen auf einem anderen Planeten und vielleicht benötigt man sie zeitweise: Ihre Ressourcen, ihr Geld, ihren militärischen oder politischen Einfluss. Eine komplizierte und spannende Geschichte, die Autor Frank Bösch uns hier präsentiert, die dem ständigen Wechsel des Zeitgeistes in der Bundesrepublik Deutschland unterlag. Frank Bösch beweist hier nach seinem genialen Buch „1979“ (findet ihr auch hier auf dem Blog) erneut, dass er einen guten, kritischen Blick auf die Geschichte unseres Landes hat. 1955 war die junge Bundesrepublik überhaupt froh, dass irgendein internationaler Staatsgast nach Deutschland kam. Die schreckliche Vergangenheit hielt viele demokratische Staatsführer davon ab, diesem Experiment „Bundesrepublik“ nach der Diktatur einen Besuch abzustatten. Jedoch Haile Selassie und der Schah von Persien kamen. Großen Hof hielt man ab, denn man wollte Geschäfte machen. Es erscheint, dass niemand ein moralisches oder politisches Problem darin sah, diesen Diktatoren mit großem Pomp zu begegnen. Haben wir hier vielleicht noch Ansätze von Verständnis, so entgleitet dieses jedoch mit jedem Jahr, in dem die Bundesrepublik sich als Demokratie etablierte. Jedoch muss natürlich betont werden, dass die Absicherung der Westbindungen immer den Vortritt gegenüber den Kooperationen mit irgendwelchen Autokraten hatte. Der Kalte Krieg dominierte alles diplomatische Handeln und legitimierte dies für die Regierung Adenauer auch. Diktatoren aus aller Welt Das Buch legt in viele, viele außenpolitische Verbindungen akribisch den Finger in die Wunde: So kam man nicht nur Diktaturen fern ab in Afrika und Asien entgegen und versuchte Kritik an diesen in Deutschland zum Wohle der hiesigen Wirtschaft mundtot zu machen, sondern reichte z.B. ausgerechnet auch noch der einzigen existierenden faschistischen Diktatur in Europa noch die Hand und suchte die Nähe zu Francos Spanien! Allerdings agierte man oft nur sehr dezent und überließ die Kommunikation zeitweise niedrigeren diplomatischen Rängen und ließ dann auch nur mündlich Vortragen. Minister und Kanzler blieben zurückhaltend. Ein Höhepunkt war natürlich der berühmte Besuch des Schahs 1967 und die Repressalien, die hier lebende Iraner aufgrund des Drucks auf die hiesigen Verwaltungen, Justiz und Polizeibehörden, d.h. durch bundesdeutsche Beamte erleiden mussten. Diese wirkten wie femdgesteuert durch den Iran. Gekonnt nutzten auch afrikanische Diktatoren wie Idi Amin in Uganda, Mobutu Sese Seko in Zaire oder Jean-Bédel Bokaasa in Zentralafrika die Angebote aus West und Ost im Kalten Krieg aus. Trotz ihres aggressiven, exzentrischen Auftretens erhielten sie Entwicklungshilfen, Waffen und Kredite von allen Seiten. Auch in der Bundesrepublik hieß man sie willkommen, den oft sah man insbesondere die Bodenschätze und möglichen Absatzmärkte. Die Menschenrechtslage in diesen Staaten erschien im Allgemeinen weniger ein Thema. Ab den 80er Jahren aber war Amnesty International eine etablierte NGO und Vertreter der bundesdeutschen Regierungen (z.B. Genscher und Kohl) trafen sich regelmäßig mit deren Vertretern, was oft zu klareren Haltungen gegenüber Diktaturen führte. Ein Buch mit einem wichtigen Blick auf uns selbst! Erschreckend ist, wie die junge Demokratie in Deutschland lange Menschenrechtsverletzungen bis zur Folter akzeptierte, diese als innere Angelegenheiten anderer Länder abtat – sich offensiv blind stellte. Ein tolles Buch, das zeigt, wie wichtig eine Normen und Werte geleitete Außenpolitik ist. So wirkt vor allem die junge Bundesrepublik bis in die 70er Jahre hinein als opportunistisch, devot und klar wirtschaftsorientiert. Deutlich ist zu erkennen, dass durch den öffentlichen Druck, von z.B. Menschenrechtsorganisationen, studentischen Gruppierungen oder von Gewerkschaften, die Regierenden in Deutschland lernen mussten, demokratische Werte der anderen Staaten auch vor wirtschaftliche Interessen zu stellen. Dieses Buch arbeitet diese Probleme und den Umgang damit auf fabelhafte Art deutlich heraus. Ein spannendes Thema unseres Landes, ein Blick über die gewandelte Gesellschaft der Bundesrepublik in den letzten über 70 Jahren. Geschichte Politik C.H. Beck VerlagDiktatorenGeschichtePolitik