Erschienen bei Rowohlt-Wunderlich
(Rezensionsexemplar, also Werbung)
…es funktioniert!
Es braucht nicht zu viel Vorstellungskraft, wenn man bei aller Bekanntheit und Popularität des Autors nur ansatzweise durchdenkt, wie hoch wohl der Druck auf Simon Beckett gewesen sein muss, nun, nach sechs Jahren einen weiteren Band der David-Hunter-Serie zu schreiben (Kurzgeschichte zum Thema nicht mitgerechnet). Wie mutig darf man da sein und neue Wege einschlagen, ungewohnte Wendungen? Und wie sehr sollte man in den gewohnten Gefilden eines “normalen “Thrillers bleiben, um das Publikum „mitzunehmen“. Zumindest mit der Wahl des Settings des Thrillers „Knochenkälte“ war Beckett weniger mutig. So lässt er Dr. David Hunter in einem Closed-Circle-Setting (oder Isolated Setting) recherchieren, einem Setting, das wir schon in klassischen Kriminalfällen von Agatha Christie und Steven King kennen. Der Held muss in einer räumlich von der Außenwelt abgeschnittenen Umgebung, auf sich alleingestellt, im Kreise einer sehr übersichtlichen Anzahl an Tatverdächtigen, ermitteln. Ständig ist er somit selbst gefährdet. Die Idee ist also wahrscheinlich so alt, wie das Krimi/ Thrillerschreiben überhaupt (und trotzdem lieben wir es immer wieder). Aber Beckett wäre nicht Beckett, wenn er dies nicht im Besonderen nutzt. Hier zeigt sich, dass ein Meister des modernen britischen Thrillers das „Heft in der Hand hält“. Nichts wirkt flach und konstruiert, sondern wir glauben unserem „Freund“ und altem Wegbegleiter „Dr. Hunter“ natürlich sofort die Geschehnisse, an denen er uns teilhaben lässt. Trotz unserem Wissen um Thrillerdramatik: Beckett lässt es leben, unterhält uns mit Spannung und wir müssen mit allem rechnen. Respekt, das funktioniert!
Mit Wissen dosiert umgehen
Insofern gehen wir mit David Hunter, sind nun an seiner Seite, allein zwischen Fremden in einem, wie von der Welt verlorenen Ort. In unserem Land würde die Geschichte so nicht funktionieren, aber geht es um den Norden Englands, den Lake District, glauben wir sofort, dass es solche Orte (die wie eine Sackgasse sind), dort wirklich gibt.
Das Geheimnis hinter Becketts besonderem Erzählen liegt darin, dass für uns Hunter, seine Umgebung und seine Schicksalsschläge so plastisch und herrlich mehrdimensional daherkommen, dass sie vollkommen realistisch und logisch wirken. Becketts Kunst schafft es, uns durch die höchst atmosphärischen inneren Monologe Hunters, über Seiten hinweg, zu fesseln. Wir sind genauso angespannt, wie Hunter selbst, was wohl möglicherweise hinter einer nächsten Tür oder in einem nächsten Wald auf uns wartet. Seine Leiden werden zu unseren Leiden. Wirkt auch Hunter von seinem Idealismus her auch zeitweise etwas naiv, so durchblickt er aber schneller als alle anderen die Geschichte. Aber er weiß mit diesem Wissen gegenüber den anderen Personen sehr dosiert umzugehen – es im richtigen Moment erst zu äußern. Und das, obwohl wir es schon am Liebesten herausrufen würden!
Der Clou bleibt
Waren es in den ersten Bänden noch die so besonders ausführlichen Passagen, die die pathologischen Beobachtungen Hunters über den Tod, über Leichen, deren Zerfall und Auflösung Becketts Thriller zu etwas Besonderem machten, ist es jetzt vor allem das Gefühl einen Vertrauten, einen Verbündeten und einen Freund im Buch wiederzutreffen. Den Clou mit den ausführlichen pathologischen Beobachtungen, haben mittlerweile gefühlt tausende andere Autoren übernommen – ja, bisweilen bis zur tödlichen Langeweile überzogen. Natürlich gibt es solche Passagen auch wieder in „Knochenkälte”, aber sie wirken nicht mehr – wie einst – als Zentrum des Geschehens. Aber wir erwarten sie und werden nicht enttäuscht.
Simon Beckett ist und bleibt ein Meister des spannenden Erzählens. Auch wenn seine anderen literarischen Ausflüge nicht immer diese Qualität halten konnten, schafft er mit seiner David-Hunter-Serie, nach wie vor, das sehr gute Niveau zu halten.