Erschienen bei wbgTheiss
(Rezensionsexemplar, also Werbung)
Zwischen Cäsarenwahn und Tyrannenmord
Es gibt etwas, was uns auf schreckliche Art an den Cäsaren Roms fasziniert: Es geht um Macht, es geht um Verbrechen, um Sex und Intrigen. Das hat eine deutliche Strahlkraft auf uns über die Jahrhunderte hinweg. Man ist wie schockiert und muss doch hinschauen. Man ist vielleicht angewidert und verurteilt all dies, aber es hat auch diesen Moment der Bewunderung, der Grenzüberschreitungen. All dies hat wohl – wie zugespitzt – die eigentlich kurze Geschichte des berühmt, berüchtigten und bizarren Kaisers Elagabal. Er ist wohl der römische Kaiser, der aller Wahrscheinlichkeit mit einer extrem brutalen Perversität ausgestattet war und der somit als Prototyp für den sogenannten Cäsarenwahn in die Geschichte einging. Verwunderlich ist es da, dass seine eigentliche Geschichte, der Aufstieg und große Fall, so selten aufgearbeitet wurde. Vielleicht hat das Klischee über Elagabal viele Autoren davor abgeschreckt und abgehalten. Harry Sidebottom geht ihn offensiv und umfassend an. Dabei erfahren wir durch diesen kurzen Ausschnitt der römischen Herrschaftsgeschichte sehr viel über die Feinheiten der römischen Gesellschaft. Sidebottom präsentiert nicht nur eine Biografie, sondern eine gesellschaftliche Analyse, in der wir erlernen zu verstehen, wie es sein konnte, dass ein 14-jähriger, dessen angebliche kaiserliche Herkunft noch nicht einmal gesichert war, urplötzlich durch die Unterstützung einer ganzen Legion zur Macht kommen konnte. Spannend ist unter anderem dabei auch, dass ein solches Spiel des Ergatterns der Macht, vor allem durch die Intrigen der Frauen der Familie möglich war. All dies zeigt, dass in der römischen Gesellschaft Frauen bei weitem nicht nur machtlose Spielsteine auf dem politischen Spielbrett waren.
Macht, Mord, Sex
Als Spross einer brutalen Cäsarenfamilie war der gebürtige Varius Avitus wohl schon als Kind durch Terror, Mord und Intrigen geprägt. Wenn auch nur ansatzweise die Berichte über ihn stimmen, so ist Größenwahn als Diagnose des kaiserlichen Geisteszustands, wohl eine euphemistische Untertreibung. Protegiert durch seine Großmutter Maesa, die einfach behauptete, er wäre ein unehelicher Sohn des vorherigen Kaisers Caracalla, gelang es dem 14-jährigen den Cäsarenthron zu erklimmen. Dass sie damit ihrer eigenen Tochter Ehebruch unterstellte, schien ihr zum Erreichen dieses Ziels vollkommen egal. Aus Varius Avitus wurde der Cäsar Marcus Aurelius Antonius, den wir aber nur unter dem Namen seines von ihm verehrten Gottes Elagabal kennen. Ein Name, den ihm die Geschichte gab, um ihn differenzieren zu können. Der junge Elagabal verselbstständigt sich und war bald auch für seine Familie nicht mehr zu kontrollieren, tötete und lies Feinde und enge Wegbegleiter töten. In der kurzen Zeit (er regierte nur 4 Jahre) schloss er eine nicht zu überschauende Anzahl an Ehen (vielleicht waren es 7) und hatte eine sehr große Anzahl an homoerotischen Abenteuern, bei denen er zeitweise anstrebte, die Ehefrau des männlichen Liebhabers zu werden.
Gute Überblicke und Einblicke ins römische Leben und Denken
Harry Sidebottom hangelt sich geschickt am Leben Elagabals entlang, und nutzt dies, um die römische Gesellschaft zu erklären, aber auch um seine Deutung der vorhandenen Quellen verständlich darzustellen. Man muss schließlich bedenken, dass antike Geschichtsschreibung mehr unseren historischen Romanen gleichkommt als der faktischen, quellenkritischen Wissenschaft unserer Zeit. Somit gilt es zu verstehen, in welcher Gemütslage, Motivation und aus welcher gesellschaftlichen Sicht heraus die damaligen Autoren die Geschehnisse (und vielleicht eigenen Ergänzungen) aufschrieben.
Ein tolles Werk zur römischen Geschichte, das auch Lesern, die bisher noch nicht im römischen Reich „unterwegs“ waren, einen guten Durchblick geben wird. Es gibt gute Überblicke und Einblicke ins Leben und Denken vor ca. 2000 Jahren.