erschienen im Klett-Cotta Verlag
(Rezensionsexemplar, daher Werbung)
„Denke ich an Deutschland…“
Die Frustrationstoleranz der Deutschen erscheint am Limit. Aggression, Intoleranz, überzogene Reaktion prägen die politischen Debatten, aber auch alltägliche, zwischenmenschliche Situationen scheinen schnell zu eskalieren. Thomas Bergners Diagnose: „Das Land ist im Burnout.“ Dieses Gedankenexperiment scheint erst einmal gewagt und wenig wissenschaftlich, aber – und dies macht sein Buch „German Burnout“ deutlich – es hat seine klare Berechtigung. Es wird verständlich, wenn man es einmal zulässt, konsequent durchdenkt und durchgeht. Und es hilft so manche öffentliche Überreaktion, Empörung und vor allem den vielfach stattfindenden Zynismus verstehen zu wollen. Das Land der German Angst, German Scham und German Schuld erscheint mental am Boden oder zumindest in der mentalen Abwärtsspirale. Woher kommt dies? Was hat dies, besonders in Deutschland, gefördert. Die Lektüre von „German Burnout“ ist, wie manche Lektüre rund um den eigenen psychischen Zustand, nicht immer angenehmen, sondern oft auch fordernd. Denn es geht ja schließlich um uns und da gilt es in Reflexion zu gehen und auch Fehler zu erkennen, geliebte und gewohnte Denkmuster zu verlassen. Das könnte dann der Beginn sein, sein eigenes Mindset zu ändern. Eine fordernde, aber auch sehr tiefgreifende, lohnende Lektüre, die neue Perspektiven auf unser gesellschaftliches Miteinander mit sich bringt.
Der Versuch der Begriffserklärung
Bergner gibt uns erst einmal einen Überblick über den Modebegriff des „Burnouts“, der schon eine gewissen Geschichte hinter sich hat, jedoch nach wie vor nicht klar definiert ist und somit – vor allem im Alltäglichen – oft sehr missverständlich und wenig abgegrenzt genutzt wird. Den Begriff klar zu umgrenzen, hilft sich erst einmal, sich genauer mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen. Dann stellt man schnell fest, dass die eigentlichen Auswirkungen auf betroffene Menschen, geschichtlich gesehen, gar nicht so neu sind. Historisch wird die Neurasthenie in der psychologischen Wissenschaft der Vorreiterbegriff gewesen sein. War der Mensch in der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts vor allem auf körperlicher Ebene erschöpft, so wird im 20. Jahrhundert immer mehr – durch die wirtschaftlichen Ansprüche – eine Erschöpfung der Menschen im mentalen und seelischen Bereich sichtbar. Im Anglo-amerikanischen Bereich gilt das Phänomen als eigenständige Krankheit (Anmerkung: In Deutschland natürlich nicht – wir funktionieren immer!).
Diskussions- und Lösungsansätze
Bergner erklärt anhand der bundesdeutschen Geschichte, wie es aus seiner Sicht zum heutigen Zustand eines Burnouts der deutschen Gesellschaft gekommen ist. Sein Ansatz ist spannend und bringt neue Perspektiven und somit auch Diskussions- und Lösungsansätze in unsere Zeit. Eine spannende Lektüre, der man zeitweise Applaus spenden möchte, an der man sich aber auch reiben kann, denn der Autor ist sehr klar in seinen Aussagen. Eine Klarheit der Standpunkte, die aber im großen Bereich der soziologischen Erklärungen unseres Gesellschaftszustands, guttut, oft wünschenswert wäre und daher im Besonderen heraussticht.